Der Hoffnungsvolle und der Hoffnungslose
Einst lebten tief unter der Erde verwurzelt zwei verwaiste Würmer. Kein Lebewesen unterwarf sich je der Mühe einen Blick auf sie zu werfen, auch würde sie keiner zu kennen scheinen. Auch bei einem überraschenden und unvertrauten Geräusch aus der Außenwelt würde niemand sich anstrengen zwei kleine Destruenten aufzuspüren. Unbekannt waren die Protagonisten, weltbekannt die Geschichte jener Würmer, die von allen Menschen gehört und erzählt wurde.
Unten in der Wärme kann man ganz in Ruhe leben, das wusste jeder Wurm. Ganz unten, die Wärme, die beruhigende Stille und den sicheren Zustand- das könnte sich keiner über sich entgehen lassen, glaube man. Und doch war die laute Stille eines Tages zu viel, als der eine Wurm seinen Freund mitteilte:
„ Da unten zu sein ist unerträglich! Ich möchte die Sonne auf meiner Haut spüren, die Fremde kennenlernen, ich möchte die Welt bereisen.“
„Ha!“ war der laute Ruf seines Freundes. „Hier ist alles genug. Alle Grausamkeiten, die da oben in der Welt herrschen, du glaubst doch nicht, die Gefahren sind an einer Hand zu zählen?“ Das Gesicht der Hoffnung wandelte sich in Verlegenheit und ein verlegenes Schlucken konnte er nicht unterdrücken. Nicht, dass er sich der Gefahren nicht bewusst wär, nur an das Wissen daran würde er sich lieber nicht erinnern. Er streckte seinen Kopf raus, trotzdem motiviert: „Genug ist nicht gleich genug. Natürlich gibt es draußen Wind und Wolken, Füchse und Vögel, aber ich denke an die Schokoladenseite!“ „Warum musst du alles kennen? Wissen, wie alles ist?“ Sein Freund schien nicht nachzugeben. Er atmete tief ein, und holte Luft: „Ich muss nicht alles können, aber was ich kann, muss ich können.“
Es wurden keine Worte mehr in der Diskussion ausgetauscht und weiterhin wurde nicht darüber gesprochen. Doch die Sehnsucht und das Verlangen nach dem frischen Oben konnte der Kleine nicht so einfach vergessen. Tagelang verfolgte ihn die Vorstellung der großen und weiten Welt.
Eines Morgens erschien ihm der Wunsch zu stark. Als der Regen aufhörte, streckte er sich nach oben und überwältigte die aufeinanderliegenden Wurzeln in der Erde. Endlich konnte sich ein kleiner Kopf über der flachen Landschaft hinausstrecken und in das weite, frische Grün blicken. Fröhlich war der Wurm am helllichten Tag, als die Sonne sich am Feld streckte, aufgebrochen. Eine Rose berührte sanft seine Stirn, als wolle sie Glück in seine Seele streuen. Ein Zeichen eines neuen Versuches, ein neuer Beginn des Lebens, dachte er sich. Doch die Wolken ließen noch einige Regentropfen fallen, die auch den unschuldigen, hoffnungsvollen Wurm trafen. Und so endet die Geschichte zweier unbekannter Würmer. Der eine, wenn er auch ein paar Minuten das Licht gesehen hatte, aber vom Tropfen getroffen wurde und so früh gestorben war und sein Gefährte, der ein langes, geruhsames und glückliches Lebens geführt haben durfte. Doch da stellt sich die eigentliche Frage: Welcher der beiden Würmer führte wirklich ein glücklicheres Leben?“
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