Die Fäden einer Marionette
Sie hatte endgültig genug von diesem Leben. Früher, da hatte sie Träume gehabt und die allerhöchsten Ansprüche an sich selbst. Ihr Leben war ein riesiger See, ja ein gewaltiger Ozean gewesen, durch dessen Wellen sie erst zu balancieren lernen musste. Doch was war am Ende von diesem Ozean übrig geblieben? Eine kleine, braune, schmutzige, traurige Wasserlacke. Ihre Träume waren buchstäblich im Matsch versunken. Sie wusste nicht wer sie war, erkannte sich kaum wieder in diesem eintönigen, grauen Leben. Schon lange war sie nicht mehr der bunte Paradiesvogel von früher. Nun war sie hinter Aktenkoffern verschwunden, musste sich hinter Kostümen und Make-up Masken verstecken. Auch, weil er das so wollte. Sie musste schließlich perfekt für ihn sein. Sie war gefangen in einem ermüdenden Leben aus Arbeit und Perfektion, ein Hamsterrad, das sich jeden Tag aufs Neue drehte. War sie glücklich? Sie wusste es nicht. Dieses Wort war ihr so fremd geworden, dass der bloße Gedanke daran schon fast lächerlich schien. Da war nur Platz für eine seltsame Leere in ihrem Inneren, die sie immer mehr auszufüllen drohte. Ihre Glieder waren taub, sie fühlte sich schwach und kraftlos. Machtlos. Als wäre es nicht sie, die die Fäden zog. Als wäre sie eine Marionette, die ständig hin und her geschubst wurde. Auch von ihm. Im Grunde ihres Herzens wusste sie, dass er nie der Richtige für sie gewesen war. Er wollte sie nur zurecht biegen, sie nach seinen Wünschen formen, bis sie sein perfektes Püppchen war. Früher hatte sie ihn einmal geliebt, oh und wie sie ihn geliebt hatte. Doch das war lange vorbei. Was war nur aus ihr geworden? War sie verdammt auf ewig ihren Träumen nachzutrauern ohne jemals etwas erreicht zu haben? Ihr wurde so übel, dass sie kaum noch atmen konnte. Verachtung stieg ihn ihr hoch. Tiefste Verachtung für sich selbst, die zu feige war diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Wovor hatte sie Angst? Sie wusste es nicht. Drohte zu ersticken in einem Leben, das sie nie gewollt hatte. Fühlte sich alleine und im Stich gelassen. Verlassen von Gott und der Welt. Da war niemand, der ihr helfen konnte, niemand an den sie sich wenden konnte. Da war nur sie selbst. Und da erkannte sie es. Da war sie selbst. Sie, die alles ändern konnte wann immer sie wollte. Sie musste nur den Mut dazu aufbringen. Und da begriff sie es. Sie zögerte nicht länger, ihr Entschluss war gefasst. Machte sich auf den Weg zum Flughafen, auf und davon. Einige Stunden später landete sie. Sand, soweit das Auge reichte. Rote, wunderbare Sanddünen, die in der Abendsonne leuchteten. Sie atmete tief ein. Die frische Luft füllte ihre Lungen, die Abendsonne wärmte ihr Gesicht. Und da war es. Der leichte Anflug eines Lächelns, der sich langsam auf ihr Gesicht stahl. Sie war ganz alleine, mitten im Nirgendwo, am anderen Ende der Welt. Und fühlte sich so frei wie nie zuvor. Die letzten Fäden der Marionette waren endgültig zerschnitten. Sie lagen nun wieder in ihrer Hand.
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