Die Geschichte und Philosophie des Wartens
Schon seit Stunden starre ich ein imaginäres Loch an meine Zimmerwand. Habe ich nichts Besseres zu tun? Nein! Wieder einmal kann ich nur warten, warten und noch mehr warten. Worauf? Keine Ahnung! Irgendwie auf alles – und gleichzeitig auf nichts.
Im Kindergarten hat die Warterei bereits angefangen – Tag für Tag habe ich den Augenblick herbeigesehnt, in welchem ich endlich Kugelbahn und Puppenhaus zurücklassen und mich der Schule – und somit der unfassbar aufregenden Welt von Büchern und Wissen widmen konnte. Dann, als ich endlich mit einer großen, prall gefüllten, und mit einer Schleife zugebundenen Schultüte in der Hand mein erstes Klassenzimmer betrat, konnte ich es kaum aushalten, dort eine Stunde zu verharren, ehe ich endlich wieder nach Hause gehen und das Innere der Tüte erforschen durfte. In diesem Moment begann wohl der Wartekreis – sofern diese geometrische Figur überhaupt so etwas wie einen Anfang haben kann.
Ewige Ferien wechselten mit endlosen Schulwochen. Wenn das eine da war, sehnte ich mich nach dem anderen und umgekehrt. Mit dem großen Finale meiner Karriere im Klassenzimmer, das die Warteschleife durchbrechen sollte, kam noch eine Runde Extrawarten dazu. Während die anderen die Zeit nutzten, um sich mit unnötiger Nervosität auf die größten Prüfungen der Schule vorzubereiten und sich wünschten, dass es noch lange, lange dauern möge, bis sie zum Examen antreten mussten, hoffte ich einfach, dass die Prozedur begann. Still litt ich unter dem ewigen Warten, dass, anstatt mich auf das kommende vorzubereiten, mir nur die Möglichkeit gab, nachzudenken und mich so selbst zu einer Wahnsinnigen zu machen, deren Kopf so sehr rauchte, dass sie gelegentlich nur noch kopflos, schreiend und natürlich mit Höchstgeschwindigkeit durch das Haus rennen konnte.
Dann hatte ich endlich das in mich hineingestopfte Wissen der Kommission in kleinen, hübschen Portionen serviert und meine längsten Sommerferien brachen an. Zur Belohnung für die Tonnen an Geduld, die ich gerade erst aufgebracht hatte, musste ich nun einige Wochenlang auf nichts warten – ich war nicht nur physisch im Urlaub, sondern ich lebte ganz einfach im hier und jetzt. Und dann… Meine Freunde mussten entweder wieder in die Schule oder sie begannen ihr Studium, aber alle warten sie nun auf die nächsten Ferien. Ich dagegen freue mich wieder einmal darauf, in neue Hallen des Wissens einzutauchen.
Aber ist es wirklich nur das, worauf ich warte? Oder gibt es vielleicht noch etwas Anderes zu erwarten? Bin es vielleicht gar nicht ich, die wartet, sondern wartet ganz eventuell mein Schicksal auf mich? Wartet es vielleicht schon hinter der nächsten Ecke? Hinter dem nächsten Satz? Wohl kaum, denn sonst würde ich es jetzt kennen. Wofür ist diese philosophische Fragerei überhaupt gut? Eigentlich weiß ich doch sowieso, dass das Warten kein Ende nimmt. Es wird wohl niemals so weit sein.
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