Die Jugend von 800 n. chr.
„Karl.“
„Ja, Papa?“
„Wieso warst du zu Weihnachten nicht zuhause? Seit 50 Jahren haben wir jedes Weihnachten zusammen gefeiert, also hoffe ich, dass du eine gute Ausrede hast.“
Karl der Große lässt seinen Blick genervt über den Hof schweifen, seine Hände lässig in die Seite gestützt.
„Ich weiß nicht ob du es mitbekommen hast, Papa“, erwidert er, „aber ich bin jetzt Kaiser des Abendlandes. Der Papst persönlich hat mich in Rom gekrönt. Ich hoffe, das ist dir Ausrede genug.“
Pippin der Kurze betrachtet seinen Sohn misstrauisch. „Du?“, fragt er skeptisch, „Kaiser des Abendlandes? Du kannst doch nicht einmal dein eigenes Zimmer sauber halten, wie sollst du es dann schaffen, das ganze Abendland zu regieren?“
Er schüttelt den Kopf und setzt sich auf eine alte Steinbank. „Die Jugend von heute“, meckert er, „Immer so größenwahnsinnig.“ Er lacht noch einmal leise auf und murmelt unverständlich in seinen grauen Bart.
Karl seufzt theatralisch. „Kannst du nicht einmal stolz auf mich sein?“, fragt er miserabel, doch sein Tonfall ändert sich schlagartig, als er ein anderes Thema aufgreift: „Wir sollten uns lieber über meinen Sohn Ludwig Gedanken machen, dieser Taugenichts. Schau, da hinten steht er, und gafft Agnes an. He, Ludwi!“
Ludwig der Fromme dreht sich perplex zu seinem Vater um.
„Ja, Papa?“
„Dieses Mädchen ist nichts für dich, verstanden?“, kläfft Karl, „Sie ist ein Bauernmädchen! Was für eine Schande würde das über unser reines Blut bringen?“
Ludwig richtet sich zu seiner vollen Größe auf und kommt auf seinen Vater zu. „Du hast die Liebe noch nie verstanden, Papa“, zischt er, „Und du, Opa, musst gar nicht so dämlich grinsen! Du siehst genau so wenig wie er die Magie und Wunder der Liebe!“
Karl und Pippin tauschen einen wissenden Blick aus und lachen dreckig. „Glaub mir, Söhnchen, du hast keine Ahnung von den Wundern der Liebe“, keckert Pippin.
Ludwig richtet empört seinen Kragen und stolziert davon, während das Gelächter der beiden anderen Männer über den Hof schallt, sodass die Hühner gackernd aufflattern.
„Genug gescherzt“, meint Karl schließlich unter Tränen, „Ich habe noch viel zu tun, um mein neues Reich gut zu organisieren. Weißt du, ich habe vor überall Pfalzen…“
„Verschone mich!“ klagt Pippin, „das habe ich alles schon hinter mir. Kann man nicht einmal in der Pension seine Ruhe haben?“
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