Déjà-vu
Ich sehe dich.
Langsam gehst du die Straße hinunter. Die Hände in den Taschen vergraben und das Gesicht hinter einem Schal versteckt, um der nächtlichen Kälte zumindest ein wenig zu entkommen. Weiter, immer weiter, ohne dich umzudrehen, an den immer gleichen Häusern vorbei. Ihre grauen Fassaden verschwinden beinahe im Nebel. Nur die grünen Fensterläden leuchten durch den Dunst wie Augen. Weiter, vorbei an den Schatten, die hinter den Fenstern warten. Du hast keine Zeit dich umzudrehen. Keine Zeit, die Straßenlaternen zu beobachten, die hinter dir - eine nach der anderen - aufflackern. Mit jedem elektrischen Surren wird deine Atmung schneller, dein Gang ein wenig hastiger. Weiter, immer weiter, weg von dem flackernden Licht. Doch es so dunkel in dieser Straße, so dunkel. Und die grünen Augen der Häuser scheinen dir zu folgen. Doch du musst weiter, weiter in die Dunkelheit und den Nebel….
Du hältst and, drehst dich um. Kurz schwankst du auf der Stelle, als wäre dein Körper nicht mehr gewöhnt still zu stehen. Dann siehst du sie. Die Gestalt steht mitten auf der Straße. Etwas an ihr ist seltsam. Sie kommt dir bekannt vor - wie dieser eine Freund, den du irgendwann - nach Jahren - auf der Straße triffst. Du hast sein Gesicht schon längst vergessen, doch etwas will dich nicht loslassen. Wann habt ihr euch aus den Augen verloren? Die Zähne der Gestalt blitzen durch die Schatten beinahe so, als würde sie lächeln.
Eine Erinnerung flackert auf. Dein Freund geht auf das Haus am Ende der Straße zu. Etwas daran ist seltsam. Es scheint euch zu beobachten. Ein Schatten weicht von einem der grünen Fenster zurück. Dein Freund hat schon die Hand auf den Türknauf gelegt und du möchtest ihn zurückrufen. Doch du kannst nicht.
Die Gestalt lächelt immer noch. Langsam streckt sie Hand nach dir aus. Endlich findest du deine Stimme, du beginnst zu schreien. Das Geräusch viel zu laut, die Fenster der Häuser klappern, wie um zu protestieren, und starren missbilligend auf dich herab. Jetzt läufst du weiter, bis dein Atem stoßweise geht und du das Geräusch der surrenden Laternen nicht mehr hörst. Weiter die Straße hinunter - sie scheint in die Unendlichkeit zu führen. Du rennst vorbei an den nächsten grünen Fenstern deren Blick dir folgt. Weiter, immer weiter.
Ich blicke dir nach, wie du im Nebel verschwindest und lehne mich zurück. Bald sollten die Laternen ausgehen. Ich habe noch ein wenig Zeit, um mir Tee zu machen. Grüntee vielleicht? Während das heiße Wasser langsam meine Lebensgeister erweckt, fällt mein Blick wieder durch das grüne Fenster. Oh, du bist es wieder! Langsam löst du dich aus den Schatten und langsam gehst du die Straße hinunter.
Wieder, immer wieder.
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