Gedanken und Scherben
Warum musste immer alles so schrecklich kompliziert sein, so unendlich schrecklich traurig? Mein Leben erinnerte mich an einen Haufen Buntglasscherben. Farben überall, und wenn man sie mit Licht bestrahlte, wunderschön anzusehen, doch ansonsten sahen die Menschen in ihnen nur Dreck und Unrat, Schmutz, der beseitigt werden musste. Einige bemitleideten vielleicht das kaputte Fenster, aber auch das nicht lange, da es schnell zuwucherte, von Efeu oder sonstigen Pflanzen in Besitz genommen wurde. So erging es mir und meinem Herz, meiner Seele, meinem „Kokoro“, wenn man so will. Als ich klein war, rissen meine Familie, meine Bekannten und alle Welt immer wieder kleine Löcher in mein Herz, die dieses zu stopfen versuchte, mit Liebe, mit Lachen, mit Leben. Irgendwann dann wurde diese Wunde einfach zu groß, ich verbitterte und sie wurde mit Trauer gefüllt, Trauer über mich, über die Welt, über alle, aber auch mit Hass, Wut und dem Drang, alles und jeden anzubrüllen, zu schlagen, meinen Frust und meinen Schmerz physisch zum Ausdruck zu bringen. Ich wollte verletzten, wehtun, laut werden, zerstören, ich hielt es einfach nicht mehr aus. Aber ich musste mich zusammenreißen, musste weiter meine Rolle als das perfekte Kind spielen, wenn ich wieder nach Hause wollte. Allerdings bröckelte diese Hülle, dieses perfekte Schauspiel und mein wahres Ich zeigte sich kurz: ein verletzter Mensch, der weder ein noch aus wusste, der sah, was falsch lief, aber stumm war, der die Wahrheit sprach, aber taub wahr, der die Hilferufe hörte, aber blind war. Ich war äußerlich vielleicht ein Jugendlicher, ein Teenager. War äußerlich 14 Jahre alt, aber innen drin hatte ich aufgehört zu altern. Ich war immer noch sieben und stand alleine in einem dunklen Strudel da, weinte und schrie um Hilfe, wollte meine Kindheit wiederhaben. Aber es hörte niemand. Jedes Mal, wenn jemand mich verletzte, schloss ich diese Wunde wieder schnell, mit Trauer und dem Klumpen Hass und ‚negativer‘ Gefühle, die ich mit mir herumschleppte. Warum negativ? Weil sie in der Gesellschaft so gesehen werden, sonst nichts. Wenn du nicht immer lachst, fröhlich und nett bist, bist du depressiv, suizidgefährdet oder sonst einen Mist. Vielleicht bist du auch nur zutiefst verzweifelt, hast schon zu viel Scheiße durchlebt, um noch weiter zu können, weißt weder ein noch aus, kannst nicht mehr den Starken spielen und so tun als ob. Ich bin müde. So unendlich müde und will nicht mehr. Will mich einfach nur hinlegen und schlafen, alles und jeden vergessen, mich selber in den Schlaf weinen und nie wieder daraus erwachen, wie Dornröschen oder Schneewittchen einfach ewig lange weiterschlafen und in meinen Träumen umherirren, in denen alles soviel schöner war, immer noch ist. Ja, ich bin ermüdet, ermüdet von mir selber und den Menschen um mich herum, will einfach nur loslassen und durch den Boden fallen, durch den Boden in den Himmel und fliegen, weit weg von allem. Doch das geht nicht. Nicht im echten Leben. Ich will nicht mehr, Mama.
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