Gefangen
Atmen. Ich muss nur atmen. Langsam füllte sich meine Lunge mit Luft. Mein Herz schlug wieder gleichmäßig, wenn auch noch ein wenig schnell. Ich schaute in das Gesicht meines Mannes. Sein Mund hatte einen ungeduldigen Zug angenommen und seine dunklen Augen waren zu Schlitzen verzogen. Ich öffnete meinen Mund. Was sollte ich sagen? Nein? Bist du verrückt? Otto war schneller: „Es ist schon beschlossen, Ida!“ „Aber…“, ich stockte, „was ist mit den Kindern?“ „Die kommen mit. Karl ist schon alt genug, um kräftig mitzuhelfen und die anderen werden dir zur Seite stehen.“ Seine Stimme war unerbittlich. Die Worte hallten in meinem Kopf wider: „Es ist schon beschlossen“. „Du hast mir versprochen, dass die Reise nach diesem Hafen vorbei ist.“ „Meine Güte, Ida! Es ist das lukrativste Geschäft bis jetzt. Oder willst du meiner Karriere und unserem Geld im Wege stehen? Du verbaust deinen Kindern die Zukunft.“ „Otto, bei allem Respekt! Die Kinder wollen nach Hause nach Hamburg. Wir haben dort ein großes Haus und sie können dort sogar Unterricht erhalten. Ihre Zukunft liegt nicht auf diesem Schiff.“ „Du bist so naiv! Wie können wir uns das denn leisten? Mein Partner in China hat mir versichert, dass wir ausgesorgt haben, wenn ich einige sehr großen Käufer in Amerika finde. Die Engländer sind schon gut, aber die Amerikaner sind größenwahnsinnig, hat man mir gesagt.“ Ich muss etwas sagen, für die Kinder. Ich focht einen inneren Kampf aus. Mein ganzes Leben lang habe ich still genickt, wenn jemand über mein Schicksal bestimmte. Meinen Kindern würde ich es nicht antun! Niemals! „Du bist größenwahnsinnig und naiv! Was denkst du denn wird passieren, wenn du große Kunden hast, dass du nie wieder ein Wort mit ihnen wechseln musst? Nein! Ich sag dir, was passieren wird!“ Ich holte Luft. Meine gesamte Wut wollte nun heraus, wollte endlich schreiend sagen, wozu ich immer zu feige war und stets schwieg. „Wir kommen nie wieder von diesem Schiff herunter. Diese Reise wird nie enden. Du musst Verträge aushandeln und die Kunden bei Laune halten. Unsere Kinder können keine Schule auf Hoher See besuchen und wir werden kaum einen Lehrer finden, der mitreist. Nur für diese angeblich kurze Reise haben wir schon keinen Lehrer mit gutem Ruf gefunden, der freiwillig mitgekommen ist. Du verbaust unseren Kindern die Zukunft, die sie mit einer guten Ausbildung hätten. Meine Güte! Du willst doch nur so wenig wie möglich für Personal an Bord ausgeben, sonst wären wir doch gleich in Hamburg geblieben. Verdammt nochmal!“ Für einen kurzen Moment herrschte absolute Stille. Ich sah Otto an. In seinen Augen lag Wut. Seine Ohrfeige hallte in der Kajüte wider. „Du wagst es…“, knurrte er fassungslos. Ich hielt mir die rechte Wange. „DU WAGST ES?“, brüllte er. „IHR KOMMT VERDAMMT NOCHMAL MIT NACH AMERIKA!“ Jetzt starrte ich ihn fassungslos an. Hatte er mir denn gar nicht zugehört? Ohne noch ein Wort zu sagen, verließ er die Kajüte und ließ mich mit diesen Worten allein zurück.
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