Haben wir das verdient?
Was ist Ehrlichkeit? Liebe? Ehre? Würde? Früher wusste ich vielleicht noch, was das ist. Aber wenn ich in der letzten Zeit irgendwelche Handlungen der Güte sehe, fühlt es sich an, als ob tausende Nadeln mein Herz durchbohrten, und jedes Mal steigen mir die Tränen in die Augen.
In der Klasse war es ziemlich laut, aber ich hörte die Geräusche nicht: Ich war zu tief in meinen Gedanken gesunken. Warum? Hm, wahrscheinlich ist 16 genau das richtige Alter, um eine existenzielle Krise auszulösen, besonders wenn die letzten anderthalb Jahre zu viele beängstigende Veränderungen mit sich brachten. Alle meine Gedanken waren nur mit Fragen gefüllt, zum Beispiel“Was soll ich mit meinem Leben tun? ” oder“Wer bin ich überhaupt? ”.
WAS bin ich? . . .
Und keine Antwort…
Es war nicht so einfach, sich nur auf eine Sache zu konzentrieren. So ist es bei vielen Jugendlichen - plötzlich denkt man an etwas ganz Anderes. Also erinnerte ich mich, was für eine Stunde jetzt kommt - Geschichte. Ich fing an, zu überlegen, was die interessantesten Fakten aus der Geschichte für mich waren.
1169 - Fürst Andriy Bogoljubskyj eroberte und verwüstete Kiew, die Hauptstadt der Kiewer Rus…
1569 - Ritsch Pospolyta wurde gegründet, um den Krieg gegen Moskauer Königsreich zu gewinnen…
1657-1687 - Aufteilung des Territoriums der Ukraine zwischen dem Ritsch Pospolyta und dem Moskauer Staat…
1772-1795 - noch drei Aufteilungen zwischen der Habsburger Monarchie, Preußen und Russland
2014 - Krieg in Donbass, Annexion der Krym durch die Russische Föderation…
24. Februar 2022…
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn einem so viele Gedanken durch den Kopf gehen, bis man sich an etwas sehr Emotionales erinnert? Dann kommt plötzlich totale Stille…
…
Nein. . Nein, NEIN, NEIN! Warum kommen mir immer wieder nur die schrecklichsten Ereignisse in dem Sinn? !
Ich begann zu versuchen, mir die Haare aus dem Kopf zu ziehen. Gott sei Dank, hat das niemand gesehen…
Die Glocke läutete zum Unterricht, und bald kam der Lehrer. Die Geschichte-Stunde startete langsam.
Der Lehrer erzählte uns etwas, dem ich wahrscheinlich zuhören sollte, aber diesmal verzichtete mein Gehirn darauf. Ja, sicher, hört ihm alle zu, dann werdet ihr sowieso nach Hause gehen und euch mit euren persönlichen Problemen beschäftigen! ! !
Ich wollte schreien, alles um mich herum zerstören, weil es so unfair war… Ich dachte daran, was meine Landsleute gerade fühlen. Sie haben Angst, Schmerz, Leid, Tod gesehen… Und was sah ich? Nichts. Ich bin geflüchtet. Aber es kommt mir trotzdem vor, als ich schon lange nichts mehr gespürt hätte.
Das Leben muss weitergehen, es lässt keine Zeit, sich zu entspannen. Das Leben brodelt, bewegt sich, es hat kein Ende – genauso wie arbeitet der Tod, wenn er über die Erde schwebt. Und das Schicksal klopft an die Tür - wie im Werk von Beethoven - scheint mich zu verspotten und mich zum Weiterleben zu zwingen. Ich kann mich nur damit abfinden, dass immer irgendwo auf der Welt ein Krieg geführt wird. Immer.
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