"Menschen erkennen nicht. . . "
Genug - ein leeres, bedeutungsloses Wort bestehend aus 5 Buchstaben, welches versucht, die Grenze eines unsichtbaren Rahmens zu definieren, welcher nicht überschritten werden sollte…aber immer überschritten wird.
Ich stehe auf einer Lichtung im Wald, die Sonne scheint durch die Bäume, ich genieße das Zwitschern der Vögel und die Stille inmitten dieses erholsamen Meisterwerks der Natur. Dieser Augenblick währt nicht lange. Lautes Motorengeräusch und das Surren einer Kettensäge. Bumm, bumm… Ein Baum nach dem anderen findet seinen Weg auf den feuchten Waldboden. Mit großem Unverständnis schüttle ich den Kopf. Ein LKW nach dem anderen fasst Baum um Baum auf. Ich beobachte dieses Schauspiel und erblicke vor mir ein Blatt, vielleicht von einem Ahornbaum oder einer Eiche? Plötzlich ein Windstoß, hinfort somit auch das Blatt, der Wind trägt es hinaus aus dem Wald, hinaus in die Welt.
Hoch oben in der Luft wird das Blatt in komische schwarze Luft getaucht. Sie riecht unangenehm. Der Ursprung dieser schwarzen Luft befindet sich am Boden, riesige Hallen, die aus ihren Schornsteinen dunklen Rauch pusten. Im Inneren dieser Hallen sitzen Geschäftsführer mit Autos, Villen und mehr Geld, als sie jemals ausgeben können. Immer weiter angetrieben von Gewinnmaximierung und Konkurrenzkampf. Ausgetragen wird dies auf dem Rücken der Mitarbeiter, welche für den Mindestlohn arbeiten, um gerade so zu überleben, aber froh sind, überhaupt eine Arbeit zu haben. Das Blatt beobachtet, es verliert an Farbe, es wird gelb, bis der Wind es letztendlich weiterträgt.
Der Wind flaut über einem Parkplatz ab. Das Blatt sieht Menschen, welche aus einem Lebensmittelgeschäft laufen und sich fürchterlich aufregen, ja schon fast hysterisch auf die Rechnung schauen und konzentriert mit ihrem 900€-Smartphone nachrechnen, ob der Liter Milch wirklich schon einen Euro kostet. Das Blatt verfärbt sich weiter, es nimmt ein verwelktes Orange an und wie auf Stichwort kommt schon die nächste Windböe.
Es wird weit fortgetragen, weit weg von jeglicher friedlichen Zivilisation. Gelandet in einer tiefen Spurrinne erfüllt lautes Geschrei die Umgebungsluft. Fast harmonisch dazu das Geräusch von schweren Fahrzeugen und Gewehren. Menschen, die gerade noch beim Mittagessen saßen werden aus ihren Häusern gezerrt, Männer rekrutiert oder gleich vor den Augen der Familie hingerichtet. Bomben zerstören ganze Städte, Millionen Menschen sterben als Schachfiguren der Weltmächte. Das alles nur für einen Krieg, um die Vormachtstellung der westlichen Mächte auszubauen. Das alles nur, um die Kontrolle über Erdölreservate zu erhalten. Das alles nur für nichts…
Das Blatt verfärbt sich ein letztes Mal, es wird zu einem dürren Braun, leblos und kalt. Das Blatt hat GENUG. Genug von dieser Welt, von diesen selbstzerstörerischen und ignoranten Menschen. Ein letzter Windstoß und das Blatt wird in hunderte trockene, dürre Teile zerrissen.
Dieses Blatt hat das erkannt, was die Menschheit nie erkennen wird: Wann es wirklich GENUG ist.
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