Nicht genug um Mensch zu sein
Fluchend stolperte ein Passant an mir vorbei. Er hatte den kleinen Plastikbecher, der auf dem Gehweg stand und sich mutig und penetrant den unzähligen Menschen entgegenreckte, umgeworfen.
Ich wollte beschämt zu Boden sehen, zwang mich aber meine Augen auf das blasse Gesicht zu richten. “Bitte” meine Lippen formten das Wort und meine Zunge, die mit den fremdartigen Lauten zu kämpfen hatte, schlug gegen meine Zähne. Doch als er mich mit einem wütenden Blick bedachte, versagte mir die Stimme.
So vertraut sie mir auch waren, sie schmerzten noch immer.
Sie schmerzten weniger als die giftigen Worte, als die nächtlichen Tritte, als die beißende Kälte, die meine Lungen bei jedem Atemzug zu zerfleischen schien und der ständige Hunger, der seit Wochen in meinem Magen saß. Aber sie schmerzten.
Eine junge Frau näherte sich mir und ich deutete flehend auf den Becher. “Bitte” Sie ging vorbei, den Kopf demonstrativ von mir abgewandt.
Sie wollte nicht meine ungewaschenen Haare oder mein eingefallenes Gesicht sehen. Sie wollte mich nicht sehen.
Bin ich denn so furchtbar? Verdiene ich denn keine Chance?
Ein eisiger Hauch umspielte meinen dünnen Körper und stellte die Häärchen, die meine dunkle Haut bedeckten, auf.
Eine Familie schlenderte den Gehweg entlang, die Mutter hielt die Hand ihres kleinen Sohnes und lächelte sanft als ihm die bunte Wollmütze über den winzigen, kindlichen Kopf rutschte. Er schob sie heiter zurück und streckte fragend den Finger nach mir aus, als sein Blick auf mich fiel.
“Bitte”
Das Lächeln der Mutter gefror auf ihren Lippen und sie zog das Kind eilig mit sich. “Schau nicht hin, Schatz. So jemandem geben wir kein Geld. ”
Ich senkte den Kopf. Immer noch spürte ich den Finger des kleinen Jungen, der mich so an meinen eigenen Sohn erinnerte, auf mir. Er war mir vor vielen Monaten, mitsamt meiner Heimat, genommen worden.
Ein bereits ergrauter Mann kam mir entgegen und ich versuchte das Zittern aus meiner Stimme zu verbannen.
“Bitte. ” Er spuckte aus. Sein Speichel berührte nicht mein Gesicht, trotzdem machte mich die Respektlosigkeit dieser Geste sprachlos.
Bin ich denn ein Hund? Bin ich denn kein Mensch wie ihr?
Je weiter die Sonne, die es kaum vermochte sich durch den grauen Himmel zu kämpfen, ihren Zenit überschritt, desto hoffnungsloser wurde ich. Desto verzweifelter wirkte mein Becher.
“Unzumutbar sowas” die schnarrende Stimme war herablassend.
Sowas? Ich? Bin ich denn nicht genug um eine Person zu sein?
Ich sah nicht auf. “Bitte” Stunde um Stunde bettelte ich, wurde heiser, verlor meine Würde.
Stunde um Stunde.
Vor mir verstummende Schritte ließen mich zusammenzucken. Die Nacht war hereingebrochen und der Gestank von Alkohol, der den vor mir stehenden Mann umgab, umhüllte mich wie die alles verschlingende Dunkelheit.
Er streckte mir einen kleinen blauen Geldschein entgegen. “Für die ganze Nacht. ” Schweigend sah ich ihn an, dann blickte ich in den leeren Plastikbecher zu meinen nackten Füßen.
Nein, ich bin bin nicht genug.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX