Paradoxon
Die Bettdecke ist zerwühlt. Von dir. Du bist nach mir aufgestanden und hast sie nicht gerichtet.
Du weißt, dass ich das nicht mag.
Den Orangensaft hast du auch nicht in den Kühlschrank gestellt und ich bin mir sicher, dass du dir kein Glas geholt hast zum trinken, sondern es direkt aus der Flasche in dich hinein gekippt hast.
Wie ich das hasse.
Du bist gegangen, ohne dich zu verabschieden. Wie jeden Morgen. Nicht mit böser Absicht, aber es macht mich trotzdem traurig.
Es ist genug.
Und ich sitze hier in dem Durcheinander meiner Gedanken, denn ich scheine immer noch nicht genug zu haben.
Ich bin ja noch hier.
Vielleicht sollte ich einfach gehen. Irgendwie glaube ich nicht, dass du mich lange vermissen würdest.
Und ich bin kurz davor, meine Sachen zu packen, aber da sehe ich die zerwühlte Bettdecke und frage mich, wie es wäre, wenn sie immer ordentlich wäre.
Wenn der Orangensaft immer unangebrochen im Kühlschrank stehen würde.
Dann wäre niemand da, der sich nicht von mir verabschieden würde.
Es wäre leicht und anstrengend.
Dann wäre auch niemand da, der mich zärtlich in den Arm nimmt, wenn ich wieder einmal nicht weiß, ob ich nicht vielleicht alles falsch mache.
Niemand, der mir im Bett die kalten Füße wärmt.
Niemand, der mir im Winter Tee kocht und ihn mir an den Schreibtisch bringt.
Also gehe ich nicht. Denn vielleicht würdest du mich ja genauso sehr vermissen wie ich dich.
Es ist genug.
Genug heißt weder zu viel noch zu wenig.
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