Sein Wunsch
Leise säuselte der Wind durch die leeren Straßen der Nacht. Ein wolkenloser Himmel präsentierte ein klares Firmament, erleuchtet durch das Funkeln von Myriaden an Sternen. Sein Atem erzeugte milchig weiße Wölkchen in der Luft, als er die Balkontür einen Spalt weit geöffnet hatte. Kühle Dezember-Luft drang in das Wohnzimmer seiner Eltern und strich im seicht über die Haut. Ein Kribbeln durchfuhr seinen Körper und sammelte sich zu einem flauen Gefühl in seiner Magengrube. Sein Puls raste. Doch er wollte sich nicht davon abhalten lassen. Nicht nach all dem, was ihn hier her getrieben hatte. Er wagte den ersten Schritt hinaus in die Kälte. Spürte sie in jeder Faser seines Körpers. Wie sie ihn langsam in ihrer kalten Umarmung zur Ruhe betten wollte. Gedämpft knirschte der Schnee unter seinen Füßen auf dem zugeschneiten Balkon. Sein Blick richtete sich automatisch nach oben.
„Hilf mir hoch“ Er zuckte zusammen und schnellte mit den Augen zu der Quelle dieser Worte. Ein kleines Mädchen stand knapp einem Meter von ihm entfernt im Fenster des Nachbarhauses und starrte ihn an. Eine Weile lang sahen sie sich in die Augen, bis er schließlich nachgab und ihr die Hand reichte. Es war ihm unerklärlich, doch es lag etwas in ihren Worten, dass es ihm unmöglich machte, diese unhöfliche Bitte abzuschlagen. Er wusste nicht warum, doch es war einfach so, dass es ihn in diese komische Situation brachte, in der er zusammen mit einem kleinen Mädchen auf dem Dach seines Hauses saß.
„Es ist kalt“, bemerkte er. „Du hättest dir etwas wärmeres anziehen müssen“, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht etwas mehr in ihrer Wolldecke. Der harsche Unterton von ihr verursachte eine Gänsehaut bei ihm. Eine Stille legte sich zwischen die beiden und erst nach Minuten des Schweigens folgte ein weiterer Versuch, eine Konversation zu starten. „Jeder dieser Sterne steht für den Wunsch eines Menschen“ Er starrte sie irritiert an. „Sagt wer?“ Fragwürdig musterte sie ihn von der Seite. „Ich. Kannst du nicht zuhören?“, fragte sie verdutzt. Er zuckte mit den Schultern und sie fuhr fort. „Ich habe einen Wunsch. Willst du ihn wissen?“ Noch bevor er ihr antworten konnte, unterbrach sie ihn schon wieder. „Ich möchte weiter leben können.“ Er schluckte, sie blieb still. „Und was wünscht du dir?“ Er wandte seinen Blick von ihr ab und starrte zum Himmel hinauf.
„Willst du ihn wirklich wissen? Auch dann wenn er böse ist?“ Sie sah ihn schief an. „Nicht böse. Es muss ein Wunsch sein.“ Er verstand sie nicht. „Du hast mir schon wieder nicht zugehört.“ Er schüttelte den Kopf und stand auf. „Ich habe keinen tollen Wunsch“, fuhr er fort und sah vom Rand des Daches hinunter. Er sah ihr nochmal in die Augen. Die Sterne spiegelten sich darin. Dann verstand er. „So ist das also. . .“, fuhr es ihm durch den Kopf. „Niemals genug vom Leben?“, murmelte er und ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. „Viel Glück bei deiner Suche“, waren seine letzten Worte, bevor sich sein Wunsch erfüllte.
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