Tage des Alleinseins
Tag 1, Montag: Heute haben die Kinder ihre letzten Sache zu ihrem Vater gebracht. Ich muss mich wohl damit abfinden, von nun an allein zu leben. Angeblich hatte ich nicht genug Zeit für sie. Aber was soll ich machen, in der Arbeit ist eben viel zu tun.
Tag 2, Dienstag: Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen. Arbeit und Privatleben muss man schließlich trennen, hab ich recht? Heute war nichts Besonderes. Soll ich meine Tochter anrufen? Ich vermisse sie jetzt schon.
Tag 3, Mittwoch: In der Arbeit war heute einiges los. Wir haben drei Kundenbeschwerden bekommen. Es wurde mir zugeteilt, ihre Probleme zu lösen. Drei Überstunden waren es. Aber zumindest werde ich dafür bezahlt.
Tag 4, Donnerstag: Habe kaum etwas geschlafen. Nachdem ich gestern etwas hier reingeschrieben habe, kam noch ein Anruf vom Chef, ich solle noch etwas für die Homepage layouten. Arbeit war wieder stressig, ich musste wieder Überstunden machen. Es ist schon 23 Uhr. Ich sollte schlafen gehen.
Tag 5, Freitag: Aufwachen, frühstücken, zur Arbeit fahren, arbeiten, „ausnahmsweise, nur heute, morgen musst du eh nicht mehr“-Überstunden machen, nach Hause fahren, duschen, zu Abend essen, nachsehen, ob jemand (meine Kinder) angerufen hat (nein, höchstens der Chef). So verlief meine Woche bisher.
Tag 7, Sonntag: Ich kann Sonntage nicht leiden. Mein Wochenende war schrecklich. Es ist nichts passiert. Niemand ruft mich an. Niemand geht mit mir essen. Ich sitze zu Hause, sehe fern und esse etwas, sofern ich daran denke.
Tag 10, Mittwoch: Meine Wohnung fühlt sich allein zu groß an. Ich war in den Zimmern meiner Kinder. Keine Ahnung, was ich mir dabei erwartet habe, es sind nur leere Räume.
Tag 12, Freitag: Die Arbeitswoche hat sich viel zu lang angefühlt. Es ist, als ob sich die Tage wiederholen würden. Wäre mir diese Woche derselbe Tag zweimal passiert, wäre es mir, glaube ich, nicht einmal aufgefallen.
Tag 15, Montag: Die Überstunden stehen mir bis zum Hals. Ich habe angefangen, bis lang in die Nacht wach zu bleiben, um noch ein wenig Zeit für mich zu haben. Gestern habe ich mir „Täglich grüßt das Murmeltier“ angeschaut. Ich glaube, dass war keine gute Idee.
Tag 19, Freitag: Ich könnte schwören diese Woche war einen Tag zu lang. Muss so etwas mir passieren? Vielleicht bin ich verflucht. Wenn ich ausnahmsweise mit jemandem rede, dann über die Arbeit, welche mir sowieso schon bis zum Hals steht.
Tag ? ? ? , Donnerstag: Habe vergessen mitzuzählen. Es gab keinen Grund hier etwas hineinzuschreiben. Ich bin komplett isoliert. Letztens habe ich die Symptome eines Burn-outs gegoogelt. Ob ich eins habe oder nicht ist egal, ich kann mir so oder so keine Therapie leisten.
Samstag: Ich sehe keinen Sinn mehr. Dreht sich die Welt noch? Es fühlt sich nicht so an. Arbeit heute war normal. War heute überhaupt Arbeit? Nein, okay, vorhin habe ich geschrieben, dass heute Samstag ist. Die Tage verschmelzen. Ich schlafe kaum noch.
Dienstag? : Wenn es für immer so bleibt, dann will ich nicht mehr.
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