Verloren in der Dunkelheit
Am Ende der Straße standen sie. Verloren in der Dunkelheit. Zwei Personen, die sich schon ein Leben lang kannten. Sie schauten sich an, direkt in die Augen, das Tor zur Seele. Beide erkannten ähnliches darin. Trauer. Verzweiflung. Frustration. Leere. Aber auch einen Hauch von Zufriedenheit und Genugtuung. Sie wusste nicht, wie das passieren konnte. Mit tränendem Blick betrachte sie ihre blutverschmierten Hände. Tod. Ein Wort, das einem viel zu leicht über die Lippen kommt, ohne der Bedeutung in irgendeiner Weise gerecht zu werden. Er und sie waren verbunden durch Zeit, gegenseitigem Vertrauen und tiefer Zuneigung. Nun auch durch eine gemeinsame Tat, die nicht etwa Gartenarbeit glich. Sie konnte nicht, er wollte nicht. Sie wollte es, er konnte es. Sie waren sich einig. Sie hatten das Richtige getan. Jedoch standen sie jetzt vor einem Abgrund. Kein physischer, wie etwa eine Schlucht oder eine Klippe. Es war der Abgrund des Lebens, dem sie bevorstanden. Sie wussten, was ihnen nun entgegenkommen würde. Doch war es fair? War es fair, seine Frau, die man lieben, um die man sich sein Leben lang kümmern und die man unterstützen sollte, in allem, was sie liebt, jahrelang zu schikanieren, zu misshandeln und zu demütigen? Die Polizei war informiert, doch hatte sie etwas unternommen? Nein, sie hatte vorbeigeschaut, es als „normal“ betrachtet oder als „geringe Gefahr“ angesehen. Es war dabei nicht um Liebe gegangen, es ging um die Selbstachtung, die ihr genommen wurde. Die Selbstliebe oder ganz naiv gesagt: ihr Leben. Warum also, sollte man dafür nicht bestraft werden? Weil es gesetzwidrig war. Und das war auch richtig so. Aber wäre es dann nicht auch richtig, jemanden fürs Schlagen und Misshandeln seiner Frau zu verurteilen? Zumindest hatten sie beide diese Entscheidung getroffen. Man konnte es nicht mehr ändern. Jedoch wollten sie das auch gar nicht. Sie hatten nicht den Wunsch, dass, was sie gerade getan hatten, rückgängig zu machen, trotz dessen es vollkommen ihr Leben verändern würde. Beide standen mitten im Leben, hatten eine Karriere aufgebaut und sogenannte „Familien“ gegründet. Alles nur Fassade. Familien sollten sich gegenseitig unterstützen, lieben, wertschätzen. All das hatte es nie gegeben. In den Leben von beiden nicht. Deswegen hatten sie sich dazu entschlossen, diese Fassade einzustürzen, zu zerstören. Genauso, wie er ihr Leben zerstört hatte. Nun standen sie, in der Einsamkeit der Dunkelheit. Im Hintergrund hörte man schon leise die Polizeisirenen auf sie zukommen und erneut blickten sie sich tief in die Augen…
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