Vorräte
„Eines ist klar: Währen wir Katzen, würden wir die nächsten drei Jahre satt werden.“ Sage ich, als ich die nächste Palette von Tunfischdosen in Empfang nehme und sie irgendwie so auf den ramponierten Bollerwagen staple, dass sie nicht hinunterfällt und dabei die anderen Paletten mit in den Staub reist.
Ivan lächelt und windet sich aus dem Loch in der Hauswand heraus. Das ist leichter gesagt als getan, weil mein russischer Freund nämlich ungefähr die Maße eines Schrankes hat. Er ist riesig und hat dazu auch noch breite Schultern, weshalb alle ziemlich Respekt vor ihm haben.
„Hey, aus Fisch kann man viel machen.“ Sagt er und tritt auf die Überreste einer Straße, ganz bedeckt mit Ruß und Staub.
„Da bin ich mir sicher.“ Murre ich und setze mich in Bewegung. Ich will nämlich vor Einbruch der Nacht Zuhause bei Nate und Leia sein. Nicht das in der Nacht die Toten, von denen es genug gibt, aufstehen und rumlaufen, aber seitdem meine Eltern gestorben sind habe ich nachts draußen irgendwie Angst.
„Wie viel Uhr denkst du ist es?“ fragt Ivan einige Minuten später, als wir in Richtung Rathaus laufen, er den Bollerwagen ziehend und ich hinter ihm auf die Ladung achtend.
„Kein Plan. Hab mein Handy daheim liegen lassen.“ Versuche ich zu scherzen, doch keinem von uns ist danach zu mute, zu viele Sorgen hängen in unseren Köpfen.
„Es wird früher dunkel, das ist klar.“ Murmelt er und fügt hinzu: „Der Winter naht.“
Ich muss mir auf die Lippe beißen um nicht zu lachen und „Du weißt Garnichts, Jon Schnee“ zu sagen. Doch nach der schönen Erinnerung an damals kommt die Erkenntnis, dass er recht hat.
Wir sind am Rathausplatz angekommen und trotten schweigend auf das Loch in der Straße zu, welches eine Bombe dort hineingeschlagen hat. Es ist sehr dicht an der Wand und nicht tief, so kann man reinhüpfen und in die Lochgefängnisse eintreten, die unser Zuhause sind. Ivan lässt sich zuerst hinab und ich reiche ihm die Dosen und dann den leeren Wagen, bevor ich selbst springe. In der sonst mit einem Holzbrett verbarrikadierten „Tür“ unseres Hauses steht schon jemand und sieht uns zu.
„Hallo Prinzessin.“ Sage ich und drücke Leia eine Palette in die Hand. „Wir haben genug Tunfisch um daraus ein Haus zu bauen.“
„Toll. Kommt rein, Nate will euch seinen Fund auch zeigen.“ Brummt sie und stapelt die Dosen drinnen auf unseren Vorratshaufen, den wir in einer der Zellen angelegt haben. Dann geht sie der Wärme entgegen in den Raum, in dem wir Tag für Tag alles tun. Dort steht Nate.
„Hier ist Billy!“
…
„Das ist eine Ikeakommode.“
„Sag ich doch, Billy. Er wird gutes Brennholz abgeben.“ Sagt Nate und klopft auf das Holz. „Wir haben nämlich fast nichts mehr. Und wenn erstmal… hey, was ist?“
„Nichts.“ Antworte ich und wische eine Träne weg, während ich von zwei Seiten in den Arm genommen werde.
Mir ist nur gerade aufgefallen, dass wir sterben werden, weil wir von nichts, weder von Wasser noch von Essen noch von Holz, genug haben.
Das Einzige von dem wir genug haben sind Sorgen.
Und die kann man nicht essen.
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