Wie lange noch?
Die Sonne geht auf. Rund um mich rascheln die Blätter der unzähligen Laubbäume, Äste knacken und überreife Beeren fallen von den Sträuchern. Ich sehe nach oben. Eichhörnchen klettern in den hohen Baumkronen, in denen auch gerade eine Vogelfamilie ihr Unwesen treibt. Eine Mutter mit ihren Kindern, welche noch unheimlich klein und unerfahren wirken. Sie breiten ihre winzigen Flügelchen aus und wagen die ersten Flugversuche. Ich muss grinsen. Der Schrei eines weiteren Tieres erregt nun meine Aufmerksamkeit. Ich schaue weiter nach rechts und erspähe eine weitere Vogelfamilie. Die Mama schiebt ihrem Küken gerade einen Wurm in den Mund. Mein Lächeln verschwindet, ich muss wegsehen. Ich gehe ein paar Schritte auf den großen Stein zu, auf dem ich jeden Morgen sitze, um den Sonnenaufgang zu genießen. Meine Knochen schmerzen als ich auf ihm platznehme. Heute fühlt er sich besonders hart an, härter als gestern. Das wundert mich jedoch nicht. Ich schiele zu der halb vollen Wasserflasche in meiner Hand. Zögernd öffne ich sie und nehme einen kleinen Schluck. Komm schon Sophia, einen schaffst du noch. Stell dich nicht so an, es ist doch nur Wasser. Ja und dieses Wasser brauchst du nicht. Ich Leere die Flasche aus und werfe sie ins Gras. Eine Träne kullert mir die blass schimmernde dünne Hautschicht über den ungesund hervorstehenden Wangenknochen hinunter. Ich presse mein Gesicht in meine Hände und fange an laut zu schluchzen. Aus meinem Rucksack fange ich ein Taschentuch hervor und streiche mir damit die Tränenflüssigkeit und die verronnene Mascara von meinen Augen. Nun verwischt auch der Concealer und meine dunklen Augenringe, die ich seit einigen Wochen habe, werden sichtbar. Ich fasse mir mit meinen knochigen Fingern an das Schlüsselbein an welchem ich, wenn ich nervös bin, immer herumfummle. Mit meiner anderen Hand taste ich meine sehr stark spürbaren Rippen ab, wobei ich nun auch bemerke, dass das zusätzliche Rippenpaar, das ich bereits seit meiner Geburt habe, heute extrem hervorsteht. Ich verziehe meine Lippen zu einem schmerzerfüllten Lächeln. Ich hasse diese faszinierende Sucht, die mich zugleich so glücklich macht. Ich linse zu meinen Knochigen Knien, welche unter meinem weißen Baumwollrock hervorblitzen. Mein Grinsen wird breiter. Ich nehme meine rechte Hand vom Schlüsselbein und umfasse mit ihr das Handgelenk meiner linken. Ich lache, als ich bemerke, dass mein Daumen mit Leichtigkeit meinen Zeigefinger berührt. Ich bin glücklich, oder etwa nicht? Diese Frage stelle ich mir nun seit Jahren. Ich möchte mit dieser Sucht abschließen doch so leicht ist da nicht, sonst würde sie ja nicht MagerSUCHT heißen. Ständig dieses tägliche wiegen, diese eine einzige Mahlzeit, die ausbleibende Periode, die 2 Stunden Sport am Tag. Ständig bin ich müde, ist mir schwindlig, kippe ich um. All das muss ich durchmachen. Wie lange noch? Tief in meinem Inneren weiß ich die Antwort bereits. Es wird nie ein Ende nehmen.
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