Wie tief wirst du fallen?
Nacht umgab ihn, Finsternis, so undurchdringlich. Er hatte das doch alles gar nicht vorgehabt, hätte sich doch niemals vorstellen können, dass es so weit kommen würde. Wtf. Was vorher diese unglaubliche Zufriedenheit bewirkt hatte, die so wunderbar weich in das Herz geschlichen war, wo sich in einem innerlichen Freudenschrei sein gesamter Bioorganismus kurz von der Erde abgehoben hatte, wo war dieses Etwas jetzt hin und warum war es weg? Fassungslos starrte in die wirbelnde Leere und fühlte nur eisige Kälte.
Ein schrecklicher Gedanke kroch aus dem letzten Winkel seines Kopfes. Diese Leichtigkeit, alles war so schön gewesen, eine Wärme, die gleichzeitig so aufregend war und zu einer heißen Glut wurde, glühend weiß, wie ein Schwert, dass geschmiedet wird. Er hatte sich soo sicher gefühlt, dass er sein ganzes Vertrauen aufs Spiel gesetzt hatte. Kein Wunder in diesen weichen Momenten, die von Zärtlichkeit erfüllt waren. So etwas hatte er noch nie gespürt. Als ob irgendjemand auf dieser Welt ihn wirklich liebte. Da war es. Dieses Wort. Liebe. In der Welt der Menschen, war dieses Wort omnipräsent gewesen, täglich schallerten sich Menschen aller Altersgruppen die Ohren mit Songs voll, die von Verliebtheit schwebten, in denen die Liebe verherrlicht wurde. In jedem Film war es aufgetaucht: Das Konzept des Verliebtseins. Diese Schmetterlinge da. Jetzt steht er da und schaut in die pechschwarze Dunkelheit. Früher hatte sich das doch alles ganz anders angefühlt. Stimmt. Ein Gefühl, das war es. Ein sehr heißes, kurzatmiges Feuer, das von den Menschen gefüttert wurde und immer mehr mit sich riss je größer es wurde. Es war unaufhaltsam und überall wurde es genährt und immer mehr davon sickerte in das Grundwasser der Köpfe der Bewohner der Menschenwelt. Und selbst die Kinder, die unschuldigsten und reinsten aller Geschöpfe waren nicht sicher. Auch sie wurden nicht verschont. Die Bewohner der menschlichen Welt taten nichts um ihnen zu helfen, sie warfen sie ins Feuer. Die Menschen liebten sich. Zumindest sagte man ihnen das. Und sie glaubten es, denn eine Lüge ist nur dann wirksam, wenn sie geglaubt wird. Wie in Trance sieht er den Erinnerungen nach, die dünn verblassten. Die besten Lügen sind Halbwahrheiten. Die Menschen waren verliebt gewesen in das Gefühl des Verliebtseins, in das Konzept der Liebe. Doch sie wussten nicht, was Liebe ist. Er wusste nicht, was Liebe ist.
Ein Schlag trifft mich aus der Finsternis und schleudert mich zurück in das Jetzt, wo alles zu spät ist. Die Dunkelheit wirbelt vor seinen Augen, er sucht nach Halt und ihm wird klar, dass er fällt. Die ganze Zeit gefallen ist. Nicht aufhört zu fallen. Er kann nichts mehr ändern, ihm bleibt nur noch zu fallen bis zum bittereren Ende. Doch es gibt kein Ende. Der Fall in die Unendlichkeit wird zum bitteren Schicksal. Nacht umgibt ihn, Finsternis so undurchdringlich.
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