Zwischen Alkohol und Schuld
Sie kippte den Tequila auf Ex, ehe sie noch einen bestellte. Eigentlich hasste sie dieses Getränk, aber sie wollte sich zudröhnen, genau wie jedes Jahr an diesem Tag, wollte das Brennen im Hals spüren, wollte ihren Geist benebeln und solange weiter Alkohol in sich hineinschütten, bis sie die Gedanken in ihrem Kopf endlich vergaß oder auskotzte.
Er blickte sich in der Bar um und sah, wie sie alleine an der Theke saß und sich betrank. Nachdem sie nicht auf seine Anrufe reagiert hatte, musste er nur auf den Kalender schauen und ihm war sofort klar gewesen, wo sie sich befand und er war her gehastet.
Sie blickte mit geröteten Wangen auf, ihr Blick glasig-leer und doch voller Schuldgefühle, Hass und Reue, als sie ihren besten Freund, sie bemitleidend ansehend, auf sich zugehen sah. Wut mischte sich in ihren Ausdruck und sie explodierte, denn der Alkohol hatte sich in ihr ausgebreitet und sie emotionaler gemacht. „Sag jetzt bloß nichts! Es ist MEINE Schuld, dass es vor drei Jahren passiert ist. Ich habe ihn umgebracht, habe ihn getötet. Ich bin ein MONSTER! Damals…hätte ich was gesagt, etwas anderes gesagt, ihn aufgehalten, irgendetwas, aber das habe ich nicht und jetzt klebt sein Blut an meinen Händen und ich will doch nur, dass mich diese ganzen Erinnerungen nicht immer wieder an seinem Todestag verfolgen und…“
Er konnte und wollte ihr nicht weiter zu hören, denn sie sprach gar nicht mehr mit ihm. Sie sah durch ihn hindurch - ihre Iriden bewegten sich hektisch, so als hätte sie ganz andere Bilder im Kopf. Sie ertrank förmlich in ihren Gedanken und er überlegte nicht lange, gab ihr nur eine möglichst sanfte Ohrfeige, rüttelte an ihren Schultern und schrie sie an: „Du bist NICHT Schuld. Wenn jemand Schuld hat, dann dieser Fahrer, der zu schnell war und nicht genug Zeit hatte, um rechtzeitig auf die Bremse zu treten!“
Sie fasste sich an ihre rot leuchtende Wange und sah ihn nur geschockt an. „Ohne mich wäre er aber nie dort gewesen! ICH HABE IHM DAS HERZ GEBROCHEN, KEINE FÜNF MINUTEN BEVOR ER TOT AUF DER STRAßE LAG! Wenn er wenigstens glücklich gestorben wäre oder einen friedlichen letzten Moment gehabt hätte…aber das war nicht der Fall!“ Sie weinte hysterisch und streckte ihre Hand nach einem weiteren Drink aus, als er sie stoppte.
„Es ist genug, findest du nicht auch?“ Er ließ aus, ob er damit die Schuldgefühle oder den Alkohol meinte und bevor sie etwas darauf erwidern konnte, zog er sie in eine Umarmung und irgendwo klärte sich bei diesem vertrauten Geruch nach Geborgenheit ihr Geist und sie erkannte, dass es für diese Nacht reichte.
Ihr war jedoch auch bewusst, dass sie in genau einem Jahr wieder in einer Bar wie dieser sitzen und erneut den unmöglichen Versuch starten würde, ihre Schuldgefühle in Alkohol zu ertränken. Wenn sie ehrlich war, dann hatte sie eigentlich auch nicht genug von diesen Stimmen, denn dies war ihre Art zu bereuen und niemals das zu vergessen, was passiert war. Das war jedoch etwas, was sie auf 365 Tage später verschieben würde.
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