Abschied und Endevon Fiona Kreindl
"Nein, ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll. "
"Sagst du das immer, wenn du Angst hast? "
"Ich habe keine Angst. Wovor auch? "
"Vor mir. Vor meinem Ende. "
"Es gibt sowieso nichts mehr, was dich und mich verbindet. "
"Trotzdem kannst du nicht ohne mich leben. "
"Willst du mir Angst machen, Gaia? Soll das eine Drohung sein? "
"Ich kann dich nicht mehr verletzen als du es bereits selbst geschafft hast", lacht sie und starrt mich mit ihren meerblauen Augen an. Ich kann die Wellen in ihnen tanzen und gleich dahinter den Tsunami rollen sehen. Was will sie mir damit sagen?
"Mir geht es prima. Ausgezeichnet", entgegne ich bloß und kneife meine Augen zusammen. Der Tsunami kommt näher und ich bin hilflos dagegen. Natürlich will sie mich verletzen. Es geht ja auch immer nur um sie. Nie, wirklich nie um mich. Ich bin ihr egal.
"Öffne deine Augen, Mensch! "
Erwartet sie wirklich, dass ich mir das Chaos, die Katastrophe in ihren Augen weiterhin anschaue?
"Ich habe genug gesehen. Lass mich bloß in Ruhe. "
Da spüre ich im selben Moment ihre warme, fast schon heiße Hand an meiner Wange und zucke zurück. Ein schlimmer Fehler, denn dadurch öffne ich meine Augen und blicke geradewegs in das Unwetter und die Zerstörung. Ist das ein Kind, das sich soeben an einem bloßen Holzbrett festhält und droht ins offene Meer hinaus getrieben zu werden?
"Stopp! Hör auf. " Ich drücke ihre noch immer erhobene Hand weg und verbrenne mich dabei.
"Verdammt, mach, dass es aufhört! ", schreie ich jetzt. Dreht sie sich gerade ernsthaft weg von mir?
"Beende das Ganze! " Noch immer sehe ich ihr Gesicht nicht, doch wage ich nicht, sie erneut zu berühren. Zu groß ist die Furcht wieder verletzt zu werden.
"Ich kann das nicht. "
"Was? Was hast du gesagt? "
"Ich kann das nicht. " Plötzlich wendet sie sich wieder mir zu und ich schrecke wie zuvor zurück. Das Gesicht, jede einzelne Hautfläche bedeckt mit Stürmen, Regenunwettern und getrockneten Sandflächen. Ganz rot, feuerrot sind vereinzelte Stellen an ihr.
"Feuer! Du brennst ja! " Entsetzt sehe ich in ihre Augen. Der Körper des Kindes liegt noch da. An einem dreckigen Strand bedeckt von Plastikfetzen und Glasscherben, die teilweise in der Haut stecken. Da ist sonst nichts.
"Ich brenne nicht. Ich sterbe. "
"Was ist mit Wasser? Mit Wasser löscht man Feuer. "
"Es ist zu spät, Mensch. " Zu spät.
"Nein. Nein! Ich, . . . wir helfen dir irgendwann. "
"Irgendwann ist irgendwann zu spät. Verabschiede dich wenigstens. " In ihren Augen, wo zuvor der Tsunami wütete, ist nun Dürre ersichtlich. Staubtrocken sind sie jetzt. Ausgetrocknet und ausgelaugt.
"Ich gebe noch nicht auf. Wir finden eine Lösung. Tausend Lösungen! Bleib noch da. " Bitte.
Sie glaubt mir nicht. Ich mir auch nicht. Hat das nicht Papa immer zu mir gesagt? Wir finden eine Lösung, jedes Problem kann gelöst werden. Jetzt, Papa, bist du aber schon zehn Jahre nicht bei mir und wir haben nichts gefunden. Keine Lösung. Denn was dir gefiel, wollte ich nicht. Wofür ich mich einsetzte, fandst du überflüssig.
Jetzt brennt sie.
"Ein Abschied wäre angebracht. " Sie lächelt mich an mit ihren Augen, die den Spiegel des Meeres bildeten und wovon nichts mehr übrig geblieben ist, und kommt auf mich zu. Innerlich weiß ich, was sie vorhat. Ein Teil von mir will weglaufen, der andere bleibt stehen. Kann sich nicht bewegen.
"Küss mich", sagt sie.
Und ich küsse sie. Fange an zu brennen, presse meine Lippen auf ihre, ergreife ihr Gesicht, spüre ihre Verzweiflung, spüre mein Versagen und brenne.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX