Achterbahn
„Das Leben ist 'ne Achterbahn mit kleinen Hochs und sehr tiefen Tiefen“ dröhnt es aus der JBL-Box des Jungen, die Musik seines Lieblingsartisten half ihm schon durch so manch dunkle Tage. Es wirkt surreal, viel zu lange schon scheint sich jene Achterbahn gen Horizont zu bewegen. Die Sommermonate waren geprägt von Freude, keine Stunden voller Einsamkeit, keine Konflikte die es zu bewältigen gab, zwei Monate lang konnte er Kontakte knüpfen, bereits bestehende Beziehungen vertiefen und sich währenddessen seinen Hobbies widmen. Die jahrelange Agonie mit den schulischen Leistungen scheint sich dem Ende zu neigen, lediglich das letzte Kapitel der Geschichte gilt es noch zu schreiben. Viel zu lange dämmten seine inneren Dämonen sein Leistungspensum, er scheint sich endlich von ihnen zu befreien, die Motivation steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Er ist mit seinem Leben rundum zufrieden, ja, er würde sogar so weit gehen, es als schön und lebenswert zu bezeichnen, er ist glücklich. Lediglich die Beziehung zu seinem Vater wirkt wie ein Dorn im Auge, manchmal hinterfragt er sie, manchmal kommt er ins Grübeln, manchmal fragt er sich, weshalb sein Vater die Treffen immer wieder absage. Die Zeit wäre zu knapp, es würde sich mit der Arbeit nicht ausgehen. „Meld dich mal wieder“ räuspert ihm die kratzige, gebrochene Stimme des Vaters beim letzten Telefonat zur Sommermitte entgegen. Manchmal fragt der Junge sich, ob sein Vater ihn wirklich liebe. Manchmal hat er schlaflose Nächte hinter sich, manchmal steht er halbwegs ausgeschlafen auf.
„Fühl dich frei!“ reißt der Wecker den Jungen aus dem Schlaf. Augenreibend versucht er sich wach zu rütteln, er hatte die zweite melancholische Nacht in Folge hinter sich, merkwürdig, war doch nichts geschehen, was seine Gemütslage ins Wanken bringen könnte. Er sinniert darüber jedoch nicht, er akzeptiert es, es könnte ja am unterbewusst der wieder ansteigenden Leistungsdruck liegen. Er lernt für Mathematik, setzt sich vor seinen neuen Laptop und macht sich an die Erledigung der aufgetragenen Hausübungen. Ein vollkommen normaler Tag, wäre da nicht dieses mulmige Gefühl, welches ihn schon seitdem er sein Bett verließ begleitet.
Es klopft an der Tür, seltsam, Besuch war weder vorhergesehen noch gewünscht. Zwei Uniformierte betreten das Wohnzimmer, bitten die anwesenden Familienmitglieder sich zu setzen. Unbehagen breitet sich aus, der Junge verspürt ein bedrohliches Gefühl der Beklemmung in der Nähe seines Brustkorbs. Die Lippen eines Polizeibeamten verformen sich zu Sprechbewegungen, doch die Schaltzentrale in seinem Kopf versagt den Dienst, Damokles Schwert trifft den Halbwaisen mit voller Breitseite.
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