All die Augen, all die Blicke
Noch bevor sich das Gefühl von Angst und Enttäuschung richtig ausbreiten konnte, hörte ich die alte Tür in die Angeln fallen. Der Knall war noch aushaltbar, doch laut genug, um mir mitzuteilen, dass sie getrunken hatte und dass sie wütend war. Langsam übertönte die Enttäuschung die Angst und ich stellte mir die Frage, warum ich dachte, dass meine Mutter vielleicht einfach eine normale Mutter sein könnte. Mir war schon bewusst, dass der Elternsprechtag ein großes Risiko dargestellt hatte, aber ich dachte mir, vielleicht kann sie sich zusammenreißen oder es fällt nicht auf. Da habe ich wohl falsch gedacht. Mit einem“Pling” trudelten die ersten Nachrichten ein, MitschülerInnen, die wohl von ihren Eltern erzählt bekommen hatten, was passiert war. Sie dienten auch als meine Quelle, um nachvollziehen zu können, was vorgefallen war. Mama würde nur die halbe Wahrheit erzählen, alles auf meine schlechten Noten schieben. Ein betrunkener Aufstand inklusive Lehrerbeschimpfungen, Sesselwerfen und Geschrei. Das Übliche halt. Ich dachte an morgen. Die Kantine, das Klassenzimmer, der Gang. Der Vorfall ist sicher schon in aller Munde.
Zwei Minuten vor Acht. Ich schlich durch die Gänge. Die meisten SchülerInnen waren schon in ihren Klassen, genau wie ich es mir erhofft hatte. Zitternd und mit schwitzigen Händen öffnete ich die Tür zu meiner. Und da waren sie, all die Augen, all die Blicke. Einer der wohl schlimmsten Augenblicke.
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