Alle Farben des Regenbogens
Bam! Geht es so schnell? So wie ein Kanonenschuss, ein Blitzeinschlag, so schnell wie die Zeit, die eine Schlange braucht, bis sie zubeißt, so kurz wie die Dauer einer, oder nein, tausender Wespen Einstiche? Kann es echt sein? Ist es überhaupt möglich? Obwohl ich erst 15 bin und das noch nie gefühlt habe, erst recht nicht bei einem Mädchen. Natürlich war ich schon mal verliebt, aber es waren fast immer nur kleine Crushs, noch nie habe ich so für jemanden empfunden wie für sie und dabei kenne ich sie ja erst seit einem Tag.
Auf einer Party, wessen es war ist überflüssig, sah ich sie zum ersten Mal. Bei der großen Glasschüssel, die mit einer undefinierbaren rosaroten Flüssigkeit gefüllt war, ich glaube es war Punsch, aber darum geht es nicht. Normalerweise bin ich eher die Schüchterne, die nie auffällt, die Angst vor Bakterien und sozialen Interaktionen hat und ihre Fresse nicht halten kann, wenn sie dringend sollte, falls sie mal mit jemanden redet, und die eine, die sich dann im Nachhinein in Grund und Boden schämt und sich vornimmt, nie wieder irgendetwas zu sagen. Aber diesmal war etwas in mir, ich weiß nicht was es war, sagen wir mal eine Stimme, die pausenlos auf mich einsprach: „Komm schon du feige Nuss, heb deinen Hintern hoch und geh zu ihr! Oder traust du dich mal wieder nicht? Feigling! Warum kannst du nicht so sein wie normale Menschen? Was läuft eigentlich falsch in deinem Kopf? Du beschwerst dich täglich, dass du nicht viele Freunde hast, und dann sitzt du hier und schaust wie ein dummes Huhn in die Luft. Ja genau, ein dummes Huhn, das nichts kann außer dumm herum zu sitzen und närrisch herum zu starren, das bist du nicht mehr und nicht weniger. Eine reine Enttäuschung für jeden, der dich kennt. Verdammt, heb deinen Hintern von diesem Sofa und geh zu ihr!“
Im nächsten Moment war ich neben ihr und wir redeten miteinander. Ich erinnere mich jedoch nicht mehr daran, wie ich zu ihr kam oder worüber wir sprachen, aber nicht, weil ich mich besoff, sondern weil ich von ihrem kurzen, braunen, glänzenden, nach Veilchen riechenden Haar abgelenkt war und davon, wie ihr Septum hin und her wackelte, wenn sie lachte, oder eher grunzte, aber es war kein lautes Grunzen, eher ein leises, ja, fast unscheinbares Grunzen, aber es war so süß. Ihre Gesichtszüge, so sanft wie die wenigen Haare eines Babys, wie die gelben Federn eines Kükens, wie die Samen einer Pusteblume, wenn man sie pustet, wie Rosenblätter und alles Sanfte, was es auf dieser Welt gibt. Ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihr abwenden, bis wir schließlich gemeinsam einschliefen und ich mich heute früh aus dem Haus herausschlich, ohne je ihren Namen zu erfahren.
Nun sitze ich hier auf meinem Bett, weinend, mich hassend und nervös, weil ich gleich meinen Freund treffe, um Schluss zu machen, mir nicht sicher bin, warum es mich überhaupt gibt oder was ich genau will. Nur einer Sache bin ich mir komplett sicher: meine Sexualität hat sich in einer einzigen Nacht geändert und das nur ihretwegen.
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