Alles Gute braucht Zeit
19. Juni 1998 Maria
Ich sitze gerade im Garten vor meinem Haus, schreibe in mein Buch, welches ich für meine Nachkommen schreibe und müsste eigentlich glücklich sein. Ich trinke ein kühles Getränk, bin in Rente und genieße die letzten Sonnenstrahlen. Seit drei Jahren bringt man mich jedoch nur äußerst selten zum Lächeln. Viele verstehen es nicht, weil ich mein ganzes Leben so lebensfroh gestaltet habe und jetzt als launisch bezeichnet werde. Es liegt nicht daran, dass ich vor kurzem 87 geworden bin. Ganz im Gegenteil, ich bin froh, dass ich schon so viele Jahre geschafft habe. Jetzt kommt jedoch das Aber. Vor genau drei Jahren wurde bei meinem Enkel Krebs diagnostiziert. Da war er gerade einmal sieben. An diesem Tag fiel mein Leben in tausend kleine Teile. Ich lag abends im Bett und konnte nicht aufhören zu weinen. Ich verstehe nicht, warum es ihn traf und nicht mich. Er hat sein ganzes Leben noch vor sich und ich habe schon mein Leben gelebt, bei mir wäre es egal, wenn alles aus wäre. Jetzt lassen auch langsam die Muskeln nach. Er kann nichts mehr aufheben, sich nicht mehr selbständig fortbewegen und sein Gesicht ist auch teilweise gelähmt. Weswegen ich sein unvergessliches Lächeln vermutlich nie wieder bewundern kann. Wenn ich ihn jetzt im Krankenhaus besuche, schläft er immer und ist an verschiedenste Geräte angeschlossen. Was ich aber am meisten bedauere ist, dass ich mich nicht mehr an seine Stimme erinnern kann, so wie die meisten. Das Letzte, was ich von ihm hörte, war, dass er es irgendwann schaffen wird und Wissenschaftler werden würde, damit er den krebskranken Menschen helfen kann. Er glaubt auch fest an die Magie der Zukunft, welche ihm hoffentlich widerfahren wird. Ich hoffe, er wird es schaffen und eines Tages den Menschen da draußen beweisen, wie stark er ist und was man alles schaffen kann. Ich werde die Hoffnung an ihn niemals aufgeben und ich werde ihn immer bestärken bei all seinen Vorhaben. Und wenn ich ihn von hier nicht beschützen kann, dann als Engel. Die Ärzte jedoch haben schon des Öfteren erwähnt, dass er nicht mehr viel länger als drei Monate zu leben haben wird. Ich würde in diesen drei Monaten alles mit ihm machen, was er will, aber ihm fehlt die Kraft dazu. Plötzlich fällt ein Tropfen auf die Buchseite. Es ist eine Träne, aber nicht von der alten Dame. Es ist von einem jungen Mann. Er ist 25, durchtrainiert, in der Krebsforschung tätig und eigentlich glücklich. Doch als er das las, was seine Oma über ihn schrieb, brach er in Tränen aus. Er hat den Krebs nach fünf harten Jahren übertaucht. Das Einzige, was ihn bedrückt ist, dass er seine Oma nicht mehr gesehen hat. Sie hat zwei Tage nach dem Verfassen dieses Textes dieses Leben verlassen, das war genau an seinem 8. Geburtstag. Aber sie und ihr Enkel haben immer an die Magie der Zukunft geglaubt, und es ist wahrgeworden.
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