Alles nur Kopfsache
Du konntest noch nie gut einschlafen. Schon als Kind hast du dir alle deine Spielsachen ins Gitterbett geholt und gespielt oder hin und wieder auch gesungen. Als du in die Volksschule kamst, wurde es ein bisschen besser und dir fiel es leichter einzuschlafen. Doch im Gymnasium fing es wieder an. Du lagst stundenlang im Bett ohne auch nur ein Auge schließen zu können, sodass du sogar beruhigende Medikamente nehmen musstest, um endlich Ruhe zu finden. Und heute? Heute kannst du immer noch nicht schlafen. Ständig hast du dir eingeredet, du seist "nachtaktiv" oder du hättest am Nachmittag wieder einmal ein zu langes Nickerchen gehalten. Mittlerweile bist du erwachsen und weißt, woher die andauernde Schlaflosigkeit kommt. Es sind die Stimmen in deinem Kopf, die von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat, sogar von Tag zu Tag immer lauter werden. Die Stimmen, die dich nicht vergessen lassen. Die Stimmen, die dich immer daran erinnern, wer du sein könntest und wer du tatsächlich bist. Sie haben so lange auf dich eingeredet, bis du ihnen endlich geglaubt hast. Jetzt bist du der Ansicht, allein zu sein, von niemandem geliebt und von jedem verachtet zu werden. Dein Selbstvertrauen existiert nicht mehr und dein Mut ist schon längst Geschichte. Vom Schönheitsideal und Musterschüler hast du dich auch vor einer Weile verabschiedet. Eine einzige Enttäuschung für dein Umfeld bist du geworden. Den anderen spielst du natürlich die Glückliche vor. Auf Fragen wie: „Wie geht's dir? Du siehst traurig aus! " antwortest du bloß mit: „Gut, ich bin nur müde", in der Hoffnung irgendjemand würde dich wirklich ansehen und die Leere und die Verzweiflung in deinen Augen erkennen. Aber nichts dergleichen passiert. Du fühlst dich immer einsamer und verlorener. Es scheint keinen Ausweg mehr zu geben, du hast dich zu tief in deiner Verzweiflung, Angst und Trauer verrannt. Aus einem „einfach nicht einschlafen können“, wurde nun ein „in den Schlaf weinen“. Schlussendlich erkennst du, dass die Einzigen, die immer für dich da waren, nur die Stimmen in deinem Kopf sind. Sie hatten die ganze Zeit über Recht. Wie soll man denn auch nur einen Tag mit all dem Druck überleben? Eltern, Lehrer, Soziale Medien, Zeitschriften und viele mehr, sie alle haben ihre Erwartungen an dich. Verspottet, beleidigt und ausgelacht wirst du, wenn du auch nur eine Kleinigkeit anders machst als erwartet und toleriert wird. Alles wird dir vorgegeben, dein Lebensstil, deine Freunde, dein Aussehen, deine Ausbildung und sogar deine Meinung. Die Stimmen in deinem Kopf wollten dich lediglich vor einer Welt wie dieser schützen. Du glaubst ihnen, dass die Erde einfach nicht der richtige Ort für dich sei und dass du woanders besser aufgehoben wärst. Und um das Leid zu beenden, drückst du dann, Hals über Kopf, den Abzug.
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