Alles verloren?
Als die Sonne vom Himmel blutete, die letzten Sekunden der Helle heranbrachen, vollstreckten sich Ereignisse, die dem Weltuntergang ähnlich erschienen.
Goldverzierungen von prunkvollen Gebetshäusern gaben ihren festen Standpunkt auf, flossen an den Wänden herab, um zu Boden zu eilen, wo sie schließlich versickerten. In überfüllten Kleiderschränken entwirrten sich einzelne Fäden gegenseitig, bis sie sowohl entwirrt als auch zu ihrem Ausgangsmaterial zurückkehrt waren. Das Prasseln edler Perlen, zusammenhängend, Stück um Stück auf einer dünnen Schnur, schallte durch elegant beschmückte Räume, mit Decken so weit entfernt, dass man bereits zum Fernrohr greifen musste, um diese zu erspähen. Während die wertvollen Kugeln ihren Weg zurück ins Meer bestritten, rissen ganze Taschen, Stühle und Mäntel aus Leder entzwei, begleitet von dumpfem Aufeinanderprallen zweier Metalle, das bei näherem Hinhören als Glockenschläge, wie man sie auf einer Alm vorfand, identifiziert werden konnte. Neueste Elektrogeräte, nicht von Belangen, ob bereits verkauft oder im Geschäft schlummernd, zersprangen in ihre Einzelteile und zersplitterten ins Unauffindbare. Gut bestückte Bars verloren rasch an Wert, als sich plötzliches Verdampfen ihrer kostbaren Flüssigkeiten in Gang setzte.
Binnen weniger Minuten verschwanden die geliebten Besitztümer der Menschen, die einen unbezahlbaren Wert für sie hatten.
Doch was veränderte sich durch diesen Verlust? Waren die wirklich kostbaren Errungenschaften tatsächlich verschwunden? Konnte man den Begriff der Unbezahlbarkeit, denn überhaupt noch klar erkennen, oder handelte es sich dabei nur noch um ein verschwommenes Trugbild? Sich auf Dinge von wahrlich unschätzbarem Wert zu konzentrieren, konnte man das noch?
Bei genauerem Hinsehen ließe sich doch mit Sicherheit der ein oder andere Funken Kostbarkeit herauslesen. So lese man zwischen den Zeilen und wage den Versuch nach Glück zu suchen. Unersetzbares Glück, zu finden in anderen oder auch in sich selbst, schlummert nur so vor sich hin, wartend auf Anerkennung.
Doch können wir das noch, unser Glück und unseren Wert in unserem Selbst zu finden, so bedeutend, dass es jede verlorene Habseligkeit mit Leichtigkeit ersetzen könnte? Ist jener Schatz über die Jahre in Vergessenheit geraten? Die Karte zu dessen Versteck womöglich verschollen? Beabsichtigt er es, in den Schatten zu weilen, unentdeckt für jene, die ihnen ausweichen, oder fleht er unaufhörlich vergebens um Aufmerksamkeit?
Vielleicht.
Doch selbst wenn der Untergang der Welt vor der Tür steht, jegliche Besitztümer ihren Wert verloren haben, so geht eine Quelle nie verloren. Unerschöpflich und vollkommen, oder etwa nicht?
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