Alles Walzer
Leise summte ich unsere Melodie, während ich einen Fuß vor den anderen setzte. Ich hielt dich fest umschlungen, dachte nur an unseren endlos scheinenden Tanz. Deutlich konnte ich spüren, wie nah dein Körper dem meinen war. Deutlich konnte ich hören, wie unsere Herzen im Rhythmus der Musik schlugen. Dein unruhiges Zittern ließ mich wissen, dass es wieder so weit war. „Frische Luft schnappen“, nanntest du es. Ich konnte dir nicht dabei zusehen, als du das Kokain in deine Blutbahn jagtest.
Das Kokain gab dir neue Kraft unseren Walzer fortzusetzen. Die Augen geschlossen, fiel es mir wieder leichter, mich auf unseren Tanz zu konzentrieren. Unsere Bewegungen harmonierten, synchron hoben und senkten wir unsere Körper und schienen dabei zu schweben, uns im Einklang zu drehen. Instinktiv schufen wir Platz für die Füße des anderen und hielten einander trotzdem fest. Plötzlich tratst du mir auf mein bodenlanges Kleid, ein Riss entstand, ein Riss, der sich nicht verstecken ließ. Dein Wesen veränderte sich schlagartig. Selbstsicher gestikuliertest du und erklärtest mir, wie ich zu tanzen hatte, obwohl dich das Gift die Schritte vergessen ließ. Ich gab mir größte Mühe, unbeirrt weiterzutanzen. Du beachtetest mich nicht, fühltest dich unbesiegbar, während du sprachst. Ich hatte keine Chance dich zu unterbrechen, blieb schweigend stehen, wartete ab, während du alleine durch den Saal hastetest, bis deine scheinbar unbändige Energie schwand. Entkräftet lehntest du dich an mich und suchtest Halt. Sollte nicht der Mann der Frau beim Tanzen Halt geben, sie mit viel Gefühl führen, im Rhythmus der Musik? Tränen liefen über deine Wangen, hinterließen winzige Tropfen am weiten Tanzparkett. Tropfen, die unsere Schritte bremsten, während andere Paare weiterhin unbeirrt durch den Saal glitten.
Du wolltest erneut frische Luft schnappen. Ich warnte dich, du hättest bereits zu viel Gift im Blut, nach einer weiteren Dosis würdest du nicht mehr tanzen können. Doch du ignoriertest meine Mahnung, hattest nicht genug, wolltest mehr. Du hattest das Verlangen, wieder durch den Tanzsaal zu schweben. Du ließest mich nicht erklären, dass noch mehr Koks Stillstand statt Bewegung bedeutete. Deine Wahrnehmung war verzerrt, du hattest das Gefühl nicht genug zu bekommen. Mir war klar, dass „nicht genug“ und „zu viel“ aus den Blickwinkeln verschiedener Personen dieselbe Bedeutung hatte.
Gegen dein Verlangen war ich machtlos, also sah ich zu, wie du die Spritze erneut ansetztest.
Heute bereue ich es, dich nicht aufgehalten zu haben, denn nun muss ich alleine tanzen. Für dich ist die Melodie verklungen, unser einst endlos scheinender Tanz ist schließlich doch zu Ende. Übrig bin nur noch ich, mich einsam über das Parkett bewegend. Du hast den Rhythmus meines Herzens aus dem Takt, meinen Körper aus dem Gleichgewicht gebracht.
Ich falte den Brief zusammen und lege ihn in deinen Sarg, zu deinen Füßen, die einst so wunderschön tanzten. Jetzt brauche ich frische Luft.
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