• info@texte.wien
  • +43 678 1227 203
  • Watch us on YouTube
  • Follow us on Facebook
  • Follow us on Instagram
Logo
Navigation überspringen
  • Menü umschalten
  • Der Preis
  • Texte
  • Mitwirkende
    • Finalisten
    • Jury
    • Künstler
    • Schulen
    • Team
  • Events/Fotos
  • Login
 
Neuer User

Zurück

Alles wie immer? von Emilia Kampas

Hals über Kopf. Wohin? Wohin genau? Das weiß ich nicht.

6: 30 Uhr. Mein Wecker klingelt. Ich öffne die Augen. Montagmorgen. Ich bleibe noch fünf Minuten liegen, dann setzte ich mich langsam auf, greife nach meiner Brille und setzte sie auf. Ich stehe auf und gehe ins Bad. Zähneputzen, Anziehen, aufs Klo gehen, Bürsten, ein bisschen Wimperntusche auftragen und fertig. Alles so wie immer. Ich gehe in die Küche, trinke ein Glas Wasser, esse einen Apfel, nehme meine Jause und gehe aus dem Haus.

So wie jeden Tag muss ich rennen, um rechtzeitig zur Straßenbahn zu kommen, und wie immer kann ich gerade noch in die Straßenbahn springen, bevor das laute Piepen ertönt, das rote Licht blinkt und sich die Türen schließen. Ich schaue mich um. Kein freier Sitzplatz. Natürlich. So wie immer.

Ich lehne mich an die Wand und lasse meinen Blick über die Fahrgäste schweifen. Die Menschen sind auch die gleichen wie jeden Tag. Einige von ihnen lächeln und zwinkern mir freundlich zu. Da ist zum Beispiel die ältere Dame am Fenster, die nach frisch gebackenen Keksen riecht und die jeden Tag denselben grünen Hut so schief auf ihren grauen Haaren sitzen hat, dass man nur darauf wartet, dass er runterfällt.

Neben ihr sitzt ein junger Mann. Auch ihn sehe ich jeden Tag. Er sieht auch genauso aus wie immer. Schwarzer Anzug, schwarze Computertasche, braune Haare mit so viel Gel, dass sie aussehen, als hätte er sie mit Kleister an seinen Kopf geklebt. Wie immer riecht er, als wäre er zu lange in der Parfümabteilung im DM gewesen.

Vor ihm sitzt eine Mutter mit ihren zwei Kindern. Sechs oder sieben Jahre alt. Rote Haare und die Gesichter voller Sommersprossen. Zwei Buben. Zwillinge. Eineiig? Nein, wohl eher nicht. Der eine sitzt ruhig da und schaut aus dem Fenster. Der andere denkt gar nicht daran, sich hinzusetzen, geschweige denn ruhig zu sein.

Alles so wie immer. Alles? Nein, irgendetwas ist anders. Ich schaue mich um. Die ältere Dame hat nun ein Gespräch mit dem jungen Mann angefangen. Der Zwilling am Fenster hat die Augen geschlossen und den Kopf an die Scheibe gelehnt. Seine Mutter ist gerade damit beschäftigt, seinen Bruder davon abzuhalten, die Tür zur Fahrerkabine zu öffnen und hineinzuspringen. Auch die anderen Fahrgäste gehen ihren Beschäftigungen weiter nach.

In der Schule ist alles wie immer. Texte übersetzten. Gleichungen lösen. Graphen analysieren. Versuche ausführen. Alles wie immer.

Nach der Schule gehe ich nach Hause. Alleine. So wie immer. Es regnet. Na klar. Was sonst. Ich habe natürlich keine Regenjacke mit und meine roten Converse sind nach zwei Minuten pitschnass.

Alles wie immer. Alles? Nein, irgendetwas ist anders. Kommt da jemand. Ich drehe mich um. Niemand da. Auch die Straße vor mir ist leer. Kein Mensch. Nur ich. So wie immer.

Ich will schon weitergehen, als ich ein Piepen höre. Ich drehe mich zu dem Geräusch um. Da sitzt er. Ganz klein. Ein Vogel. Ich glaube jedenfalls, dass es ein Vogel ist. Ich habe noch nie einen echten Vogel gesehen, nur auf Fotos. Bei uns gibt es keine Vögel, nicht in der Stadt. Hier gibt es schließlich nicht einmal Bäume. Langsam gehe ich auf ihn zu. Er hüpft ein Stück nach hinten, fliegt aber nicht weg. Ganz langsam gehe ich in die Knie, bis ich schließlich vor ihm am Boden kauere. Er hat rot-orange Federn, kurze Beine und schwarze Augen, aus denen er mich neugierig beobachtet. Er schaut mich an. Ich schaue ihn an. Er neigt kurz den Kopf, so als wollte er mir zunicken. Dann fliegt er weg.

Ich stehe auf. Mein Gewand klebt nass an meinem Körper und mir rinnt Wasser übers Gesicht und in den Kragen. Mir ist kalt. Ich gehe nach Hause. Zu Hause mache ich meine Hausaufgaben. So wie immer. Alles ist wie immer. Auch der nächste Tag ist wie immer. Auch der Darauffolgende; und der danach.

Alles ist wie immer. Alles? Nein. Nach der Schule gehe ich nach Hause. Zu Hause mache ich nicht meine Hausaufgaben. Ich suche etwas. Ich weiß ganz genau, was ich suche. Ich finde es. Ich halte es in den Händen. Meine Wasserfarben. Noch nie habe ich sie benutzt. Ich habe sie vor langer Zeit bekommen und dann einfach vergessen. Aber jetzt brauche ich sie. Dringend. Sehr dringend. Ich fange an zu malen. Ich male und male.

Das Bild ist fertig. Rot und Orange ist es. Der Vogel. Ich habe den Vogel gemalt. Ich lächle und male noch ein Bild. Etwas grünes. Ein Hut. Es ist die Dame aus der Straßenbahn. Ich male weiter. Etwas rotes. Haare. Die Zwillinge. Etwas schwarzes. Der Mann im Anzug.

Ich trete einen Schritt zurück und betrachte meine Bilder. Ich bin zufrieden. Das ist, was mir gefehlt hat. Das fehlende Puzzleteil. Jetzt ist das Puzzle komplett. Ich bin komplett.

Dieser Tag ist nicht so wie immer. Auch die danach nicht. Kein Tag ist so wie immer. Jeder Tag ist anders. Jeder Tag ist besonders.

Hals über Kopf. Wohin? Wohin genau? Mitten in die Farben. Mitten in die Welt.

Alles wie immer? Nein, alles ganz bunt!

  • Finale 2017
  • Nächster Text
  • Finale 2017
  • Nächster Text
  • Finale 2017

  • "Der leise Drang nach Sturm"
  • Alles wie immer?
  • Ausgangslos
  • Blinde Wut
  • Damals wie heute
  • Das Echte?
  • Das unendliche Meer ihrer Gedanken
  • Der Suchende
  • Die Ernte
  • Die Tänzer
  • drei
  • Ein Lichtermeer
  • Ein tödliches Wortgefecht
  • Es liegt dir auf der Zunge
  • gerade nicht normal
  • Koma
  • Märchen und Traum
  • Neuland
  • Oben und unten
  • Robert fliegt weiter
  • Rosa Wunder (gibt es nicht)
  • Turmspringen
  • Verlaufen
  • verunglückt
  • Vom Leben gerädert.
  • Weg
  • Windstill
  • Würfelspiel
  • Zugesagt

Wir danken unseren Unterstützern

Logo Burgtheater
KURIER
Logo BKA
Industriellenvereinigung
Österreichische Nationalbibliothek
Logo Literaturmuseum
Logo Del Fabro
Buchhandlung Aichinger, Bernhard & Comp.
Das Literaturbuffet
Seeseiten
Land Salzburg
Kultur Niederösterreich
Wien Kultur
Kultur Steiermark
Schweizer Botschaft
Schauspielhaus Zürich
Logo Bildungsdirektion Wien
Logo Bildungsdirektion Burgenland
Bildungsdirektion Kärnten
Logo Bildungsdirektion NÖ
Logo Bildungsdirektion OÖ
Logo Bildungsdirektion Salzburg
Logo Bildungsdirektion Steiermark
Bildungsdirektion Tirol
Bildungsdirektion Vorarlberg

Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:

03.png
3.
04.png
4.
05.png
5.
08.png
8.
09.png
9.
10.png
10.
11.png
11.
13.png
13.
14.png
14.
15.png
15.
16.png
16.
17.png
17.
18.png
18.
19.png
19.
20.png
20.
21.png
21.
22.png
22.
23.png
23.

Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at

Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:

Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX

 

Impressum

Verein „Literarische Bühnen Wien“, Karmeliterplatz 1/20, 1020 Wien.
ZVR-Zahl: 862299446
cb@christophbraendle.net

Fotos: © Roman Picha

Kontakt

Intendant:
Christoph Braendle
cb@christophbraendle.net

Sponsoring und PR: 
Margit Riepl
margit.riepl@gmx.at

Webmaster:
Thomas Wolf
admin@texte.wien

Presse & Downloads