Als meine Schwester Suppe kochen musste
„Komm, aufstehen“, höre ich eine leise Stimme. Dann spüre ich eine Hand meine Schulter berühren. „Los, wir müssen in den Kindergarten“, höre ich wieder. Mein Papa ist über mich gebeugt. Ich tapse ins Bad. Beim Frühstück kommt mein Bruder und macht den Wasserkocher an.
„Wo ist Mama?“, frage ich.
Mein Papa sagt: „Sie musste wegfliegen.“
„Wohin?“
„Zum Opa.“
„Wieso?“
„Weil es Opa nicht gut geht.“
Ich rühre die Rosinen in meinem Brei herum.
„Holt sie mich heute ab?“, frage ich.
„Nein.“
„Oii“, stöhne ich, „Wer dann?“
„Deine Schwester.“
[eine Woche später]
Wir essen zu Abend. Meine Schwester erzählt von ihrer Geigenstunde. Das Telefon piept und mein Papa geht in die Küche. Ich sehe ihn hinter dem Tresen. Lustig, wie sich die Lichter lang ziehen, wenn man die Augen zusammenkneift und auf die Lampe schaut. Mein Papa sagt etwas. Ich neige den Kopf immer mehr zur Seite und sehe die Lichtstrahlen mitkreisen. Als ich mich wieder aufsetze, redet niemand. Meine Schwester fängt an zu weinen. Ich schaue sie an, dann meinen Bruder und meinen Papa. Wieso machen sie nichts? Ich lasse die Gabel auf meinen Teller gleiten und gehe zu meiner Schwester. „Was hast du?“, frage ich sie, aber sie antwortet nicht. Sie schaut mich an und ihr laufen Tränen übers Gesicht. Dann steht sie auf und läuft ins Bad. Ich schaue meinen Papa an. Er steht neben dem Geschirrspüler und kaut an der Lippe. Mein Bruder zupft an seinem Ärmel. Ich schleiche zum Sofa und nehme mein Auto. Ich lasse es über die Polster fahren, spähe dabei immer wieder ins Esszimmer, aber niemand bewegt sich. Dann kommt meine Schwester aus dem Bad. Ihre Augen sind rot. Mir gefällt diese Stille nicht. „Du hast noch Spaghetti“, sage ich. Sie nickt und setzt sich. Es ist wieder still. Sie nimmt einen Schluck Wasser. Ihre Hand zittert. Wir hatten noch nichts zum Nachtisch, aber ich traue mich nicht, danach zu fragen. Das Telefon meines Papas klingelt wieder. Er geht mit schnellen Schritten ins Schlafzimmer. Mein Bruder holt tief Luft und schließt die Augen. An diesem Abend wird länger gebetet als sonst.
Am nächsten Morgen bringt mich meine Schwester in den Kindergarten.
„Wo ist Papa?“, frage ich am Weg.
„Er ist weggeflogen“, sagt sie mir.
„Wieso?“
„Zu Mama.“
Am Nachmittag holt sie mich ab. Sie hat wieder rote Augen und schnäuzt sich.
„Hast du etwa Schnupfen?“, frage ich.
Sie schaut mich kurz an und sagt dann: „Ja. Hast du Hunger?“
Ich nicke.
Sie nimmt meine Hand: „Gut, ich habe Suppe gekocht.“
Am Wochenende ist es still zuhause. Als ich wieder in den Kindergarten komme, werde ich lang nicht abgeholt. Meine Freunde gehen und ich komme in die Sammelgruppe.
Beim Einschlafen sitzt meine Schwester mit ihrem Computer an der Wand. Ich krieche zu ihr, aber sie sagt streng, ich solle mich wieder auf den Polster legen.
„Was machst du?“, frage ich sie.
„Ich muss schreiben.“
„Was schreibst du?“
„Hausübungen.“
Sie schaut nicht auf, also rolle ich mich weg. Es ist dunkel und ich fürchte mich vor den Schatten auf der Decke. Jetzt beten wir immer länger als sonst.
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