Als später morgen war und morgen nie kam
Nur noch einen Augenblick.
Dann würde ich alles tun. Alles erledigen.
Nur noch einen Augenblick.
Dann bin ich bereit.
Nur noch einen Augenblick.
Dann fühle ich mich gut.
Nur noch einen Augenblick.
Dann schalte ich ab. Lege es weg. Gehe offline. Mache meine Sachen. Erledige sie mit einem bedrängenden Gefühl zurückzukommen.
Nur noch einen Augenblick.
Danach würde ich das alles tun.
„Wer hat mir geschrieben? ". „Was für eine Nachricht erhielt ich? ". „Hat jemand eine neue Story, ein neues Bild, einen neuen Augenblick hochgeladen?
Ich fahre nachhause mit dem Bus. Ich starre auf den rechteckigen Gegenstand in meiner Hand. Wenn ich heimkomme, bin ich bereit.
Bereit, das zu tun, was mir gefällt. Durch 15-Sekunden Videos scrollen oder lesen? Durch Bilder swipen oder ein schönes Bild zeichnen? Meine Nachrichten checken oder Zeit mit der Familie verbringen. Ich entscheide mich für Ersteres - immer. Das Andere? Später.
Nur noch einen Augenblick!
Dann unternehme ich etwas mit Freunden, bin zufrieden.
Nur noch einen Augenblick!
Dann entfalte ich meine Kreativität, tobe mich aus.
Nur noch einen Augenblick!
Dann beobachte die raschelnden Blätter, lausche dem Wind.
Nur noch einen Augenblick!
Dann fühle ich die schwebende Ruhe der Natur, genieße den Moment.
Nur noch einen Augenblick!
Und dann mit einem Augenblick, waren es plötzlich viele Augenblicke, die ich verpasst habe.
Später wurde zu morgen. Morgen zu nächster Woche. Nächste Woche zu nächsten Monat.
Die Zeit verging. Die Chancen verklangen. Und ich vergaß.
Nur noch einen Augenblick!
Ich vergaß meine Freunde. Ich vergaß meine Zeit. Ich vergaß, wie ich glücklich war.
Vergaß die Sterblichkeit. Ich vergaß, wie man lebte. Lebte und fühlte. Ich vergaß, wie ich einstige Momente genoss, die nun alle verwaschen und verworfen waren.
Die Zeit rast vorbei, kennt keine Gnade.
Vergebe all diese potenziellen Augenblicke nur für einen verwerflichen, nutzlosen Augenblick.
Ich muss die Routine durchbrechen. Ich erfinde mich neu! Jetzt sofort! Oder warte ich doch bis morgen? Vielleicht ruhe ich mich erst aus. Starte morgen richtig. Bin morgen konsequent.
Jetzt vielleicht noch einen einzigen kurzen Augenblick… auf das kleine, elektronische Ding in meiner Hand.
Und was war morgen?
Morgen kam nie.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX