Am Anfang war das Ende
ΩΑ
Anfangen kann man immer erst nach dem Ende;
darum kommt es mir sehr gelegen, dass wir am Ende längst sind.
Ging es denn zu schnell? Zu plötzlich? Wundert es noch irgendjemanden, dass unser Höhenflug im Fall endete?
Lang schon ist vorüber, was unvermeidlich war; wir selbst hatten entschieden, dass wir vergessen sein wollen. Vorbei und vorüber, und doch wollen wir es noch immer nicht einsehen; wir sehen es nicht ein, wir, blind wie die Mitternacht, wir sind und bleiben unfähig, unser eigenes Versagen, das Entschwinden zu begreifen – auch jetzt, wo selbst unser Ende den Annalen der Vergangenheit angehört.
Dabei hätte es doch so gar nicht kommen müssen!
Es ist einfach… einfach dumm gelaufen für uns, seinerzeit, als es mit unsereins zu Ende ging. In den letzten Momenten glänzenden Seins, ehe wir umnachtet wurden von diesem ewig-grauen Imitat des Nirwanas. Dort, auf den Schlachtfeldern der Existenz, sind wir gescheitert. Kläglich.
Es hätte nicht so kommen müssen, doch nun sind wir verloren uns vergessen, wir sind zerflossen, zerfallen, zerronnen, zerbrochen. Gebrochen. Durch Trümmer waten wir; und selbst sind wir Ruinen.
Unser Schwinden sahen wir weder kommen, noch wollten wir es wahrhaben, denn letzten Endes hatten wir weder ein nukleares Inferno, noch das Sterben unserer geplünderten, geschändeten Gaia nötig. Der Antichrist liegt im Keller und schmollt, denn die Sieben Siegel blieben verschlossen. Alles zu spät – und nichts vonnöten, denn den Untergang schafften wir ohnedies. Eine Götterdämmerung bescherten wir Meister der Selbstzerstörung uns nämlich ohne Hilfe – im kleinen, feinen, gänzlich unbemerkt.
Weder ist mehr gestorben worden, noch hat beim Armageddon mehr als sonst gebrannt. Es lag allein an uns. Uns, die wir heute die Toten sind und gestern die Blinden waren; die wir die Ignoranten waren, die Herzlosen waren.
So hätte es gar nicht kommen müssen, und doch haben es wir höchstselbst herausgefordert, uns im Sumpf der Trägheit Gräber geschaufelt, uns mit jedem Atemzug am Tod berauscht. Als wir Götter aus fließendem Kristall priesen. Als wir eine Welt schufen, voll Spiegeln, jedoch ohne einen einzigen, der uns unser wahres Selbst zu zeigen vermochte. Eine Welt schufen wir, die weder das rosige Kleid der Dämmerung, noch das purpurne der Abendröte kannte und sich vor dem schwarzen Gewand der Nacht fürchtete. Als wir alle Jugendliebe verrieten, als jede Seele nur noch ein Wort, und jedes Wort nur noch eine Zahl galt, da waren wir verdammt. Verloren. Und gestorben – tot, allein, weil wir leben nicht mehr konnten. Leben nicht mehr kannten.
Das war unser Untergang. Wir waren unser Untergang.
Können wir noch? Wir können nicht mehr. Nichts mehr.
Aber ihr? Ihr könnt noch. Ihr könnt sehen, atmen, lieben, ihr könnt noch schreiben – ihr könnt leben. Und verlernen dürft ihr es nicht, denn das war unser Fehler; unser Ende.
Ihr könnt leben; ihr müsst. Wir sind tot; ihr lebendig.
Wir am Ende; ihr am Anfang.
Trauert nicht – Denn zu jedem Anfang gehört ein Ende.
ΑΩ
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