An: Meine Grenzen
Ich weiß nicht so genau, wo ihr liegt. Seid ihr Stacheldraht um mein Herz oder um meine Hände und Füße? Oder umgebt ihr bestimmte Dinge und Taten? Oder schwebt ihr einfach nur durch mein Gehirn?
Ich sag euch was: Ich vermisse euch. Wollen wir uns nicht mal treffen? Ich komm zu euch, nur keine Hektik, macht euch keine Gedanken. Ich nehm euch den Weg ab. Wir könnten einfach ein bisschen beisammensitzen und ihr erzählt mir, wie ihr hierhergekommen seid. Wenn ihr ganz lieb seid, könntet ihr mir auch noch verraten, weshalb ihr da seid. Und vielleicht, nur ganz vielleicht, auch wie ihr da wegkommen könntet.
Auf die letzte Frage kenne ich die Antwort eigentlich schon. Ich muss euch tragen. Erst überschreiten und dann tragen. Nach einem guten Ort suchen, an dem ich euch ablegen kann. Weil, grenzenlos kann ich ja nicht sein. Ich kann euch ja nicht einfach verschwinden lassen. Irgendwie find ich euch ja auch nicht so schlimm. Aber wenn ich über einen der gefühlt tausend Stolperdrähte falle, die ihr gespannt habt, dann hasse ich euch. Weil ihr mich in einem Käfig festhaltet, von dem ich eigentlich ganz genau weiß, dass ich ihn mir selbst gesponnen habe. Zur Unterscheidung habe ich jedem Stück Zaun einen Namen gegeben, und die meisten Namen enthalten irgendeine Angst. Höhenangst, Angst vor Ablehnung, Angst vorm Sichgehenlassen, Versagensangst…
Die Liste wäre endlos. Und obwohl Ängste beschützen sollen, habt ihr, meine Grenzen, sie zu Bauteilen meines inneren Gefängnisses gemacht. Ihr habt sie mich nicht selber ziehen lassen und ihr gebt mir keinen Schwamm für die Kreidelinien, die ich nicht überwinden kann.
Ich will da nicht bleiben. Versteht ihr? Ich will diesen Hauch der Grenzenlosigkeit, den Menschen fühlen können. Möchte selbst meine Kreidelinien in die Asche zeichnen. Ich will eure Namen ändern. Ängste auslöschen und aus ihren Überresten Prinzipien formen. Euch ziehen, wo immer ich möchte.
Ich will euch überschreiten. Will fallen, um nicht zu fürchten. Will riskieren, um es okay zu finden. Will Herzblut strömen lassen und will aufhören, der Silhouette gerecht werden zu wollen, die eure Stacheln mir vorgeben. Ich will Grenzen überschreiten. Aber die richtigen. Weil ich weiß, dass manche gut sind, wo sie liegen.
Meine Grenzen. Sagt mir, wo ihr seid. Zeigt es mir. Damit ich euch erreichen kann. Ich nehm euch den ganzen Weg ab, keine Sorge. Ihr braucht überhaupt nichts zu tun. Das Dynamit, um euch zu sprengen, geht von ganz alleine hoch.
Auf bald.
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