Ana un N dlich
Ana N - meine beste Freundin, meine lebenslange Wegbegleiterin. Seit Jahren kennen wir uns. Nicht von Anfang an war sie da, doch ihr Besuch scheint kein Ende zu nehmen.
Mein Selbstwertgefühl war längst verblasst. Es fühlte sich an, als würde ich weit weg in einem Meer schwimmen und plötzlich von einem Sturm überrascht werden. Ich war allein. Weg von meiner Familie, weg von meinen Freunden. Weit weg. Alleine mit der Person, die ich am meisten hasste. Alleine mit mir. Da kam Ana N. Und in diesem Moment war sie meine Rettung. Vergleichbar mit einem Rettungsring, an den ich mich mit meiner letzten Kraft klammerte, um mich aus den ungeheuer nahen Fängen des Todes zu retten. - Zu ungeduldig, um auf das Rettungsboot zu warten.
Und als es dann kam, das Rettungsboot, da verließ mich der Mut, aus meiner Komfortzone herauszutreten. Da verließ mich das Selbstvertrauen, diese Situation alleine zu meistern. Natürlich spürte ich nach einiger Zeit noch einmal einen Funken Willensstärke, doch zu diesem Zeitpunkt hatte mich schon längst die Kraft verlassen, den Rettungsring ganz einfach loszulassen. Mein Rettungsring war Ana N. Seltsamerweise fiel es mir, je stärker die Wellen rund um mich gingen, immer leichter, mich an ihr, meinem Rettungsring, festzuklammern. Nahezu unbemerkbar bewegten wir uns mit kleinen Schritten weg von meinem Rettungsboot. Obwohl die Wellen immer höher peitschten und die Welt um mich herum drohte, zusammenzubrechen, gab Ana N mir ein Gefühl der Kontrolle. Dieses Gefühl war mit Opfern verbunden, doch ich war bereit, diese zu bringen, um mein inneres Verlangen nach Ordnung und Struktur zu stillen. Immer fester waren Ana N und ich verbunden. Erst nach langer Zeit realisierte ich, dass mein Rettungsring nie im Sinn hatte, mich zu befreien. Doch es war zu spät, ich war gefangen. Ich bin, ohne es zu realisieren, zu Ana Ns Marionette geworden und kann nur darauf hoffen, irgendwann die Kraft zu haben, mich loszureißen.
In diesem Text geht es weder um einen Rettungsring, noch um die Person Ana N. Vielmehr handelt es sich bei jener um eine Personifikation der Krankheit Anorexia Nervosa.
Es ist schon erstaunlich, wie mir Ana N das Gefühl gab, mein Rettungsring zu sein, obwohl sie eigentlich die Flut war. Nun sitze ich da, noch immer an Ana N geklammert. Um mich herum nur Wasser. Ich gebe zu, dass es im ersten Moment kein Ende zu nehmen scheint. Doch daran glaube ich nicht mehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass selbst die aussichtslosesten Dinge ein Ende haben. Ich weiß nicht, wann ich die Kraft haben werde, diesen vermeintlichen Rettungsring endgültig loszulassen. Was ich aber weiß, ist, dass sich ganz in meiner Nähe ein Rettungsboot befindet, dessen Insassen mich nie aus den Augen verloren haben. Ich weiß, dass auf diesem Rettungsboot Menschen warten, die mich auf dem ganzen Weg, den ich von Ana Ns Rettungsring bis zu diesem Boot schwimmen muss, anfeuern werden. Und meine Dankbarkeit dafür ist, im Gegensatz zu diesem Meer, unendlich.
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