Angst oder Neugier?
Ich wusste nicht, wo ich mich befand. In meiner Umgebung war nichts, nur ein Licht. Es war ein menschenähnliches, regenbogenfarbiges Wesen mit verwaschenen Konturen.
„Wo bin ich? Wer bist du?“, fragte ich.
„Du bist nirgendwo. Wenn du so willst, sind wir gerade in deinem Kopf.“
Erschrocken schnappte ich nach Luft. Das hier sollte mein Geist sein? Na bravo!
„Und ich bin der Augenblick. Ich vereine alle Momente der Menschheit. Die Vergangenen, die Gegenwärtigen und die Zukünftigen.“
Drehte ich jetzt völlig durch? Diese Regenbogen-Glühbirne sollte alle Momente der Menschheit beherbergen? Das konnte doch nicht sein. „Was willst du von mir?“, fragte ich verwirrt.
„Die Zeit hat mich geschickt. Sie bat mich, dir ein Angebot zu machen. Sie gewährt dir die Chance zu sehen was war, oder was kommen wird.“
Sie tat was? Ich war so verblüfft, dass es mich nicht einmal kümmerte, dass die Zeit eine Sie war.
Ich durfte in die Vergangenheit oder die Zukunft blicken? Sofort hatte ich hundert Fragen. „Warum tut sie das? Wieso dieses Angebot?“, fragte ich.
„Weil sie noch nie eine so große Angst ihr, und der Zukunft gegenüber gespürt hat. Deshalb dieses Angebot.“
„Aber kann es ihr nicht egal sein, ob ich mich fürchte oder nicht?“, fragte ich verdutzt.
„Könnte es, ist es aber nicht. Sie fühlt nicht nur deine Angst, sondern auch deine einstige Neugier. Diese möchte sie dir zurückgeben.“
Ich sollte so viel Angst haben?
Ich dachte über das Gesagte nach. Und die Erkenntnis schlug ein wie eine Bombe.
Sie hatte recht. Ich war immer neugierig darauf gewesen, was die Zukunft bringt. Was mich Lachen, was mich Weinen und was mich zu einem freudig hüpfenden Wiesel auf Drogen mutieren lässt. Doch irgendwann starb sie, wurde durch Angst ersetzt. Angst davor, ob es eine lebenswerte Zukunft gab.
Doch vielleicht konnte mir die Zeit helfen, sie wiederzufinden.
„Ich sehe, du hast herausgefunden, was die Zeit meint. Sie kann dir deine Furcht nicht nehmen, denn es ist deine Entscheidung wie du zur Zukunft stehst.
Aber ich kann dir einen Augenblick aus deiner Vergangenheit zeigen, du erlebst ihn genauso wie er war und kannst es immer wieder tun. Oder du erlebst einen Augenblick aus deiner Zukunft, so wie sie aussehen würde, wenn du so weiter machst wie bisher. Aber du weißt ja, was man über die Zukunft sagt, sie ist nicht in Stein gemeißelt. Natürlich musst du auch keines von beiden wählen, dann verschwinde ich einfach.
Deine Entscheidung.“
Ich wusste nicht, was ich wählen sollte. Ich liebte meine schon gelebten Augenblicke, aber auch die Zukunft interessierte mich wahnsinnig. Doch ich wollte dieses Angebot auch nicht ausschlagen und entschied mich intuitiv.
Inzwischen glaube ich, mehr gewonnen zu haben als nur dieses Angebot. Denn der Augenblick hatte mir etwas viel Wertvolleres geschenkt.
Und zwar, dass es meine Entscheidung ist, wie ich der Zukunft entgegenblicke.
Mit Angst oder mit Neugier.
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