Anruf aus der Zukunftvon Magdalena Gruber
29. September
Eingehender Anruf von +13 A005-UB63. Unbekannte Nummer. Warte, waren das Buchstaben? Min drückte das grün leuchtende Symbol, um den Anruf anzunehmen. „Hallo?“ Einen Moment lang Stille, bevor Min erneut fragte:
„Hi? Wer ist da?“
„Uhm. Ich bin Yaru. Wer bist du?“ kam nun eine junge, männlich klingende Stimme zurück.
„Was? Kenne ich dich? Ich kenne keinen Yaru. Wenn es dich nicht stört, lege ich jetzt wieder auf.“ Erschöpft lehnte sich Min mit der Schulter an eines der großen Glas-Fenster der Wohnung ihrer Familie. Min war gerade sowieso gestresst wegen der Schule, sie brauchte solche Scherz-Anrufe heute wirklich nicht.
„Nein! Warte! !“, protestierte die Stimme. „Ich habe deine Nummer aus den alten Notizen meiner Urgroßmutter. Ich frage mich, wie es möglich ist, dass du eine alte Nummer hast? Ich kenne niemanden, der noch eine alte hat.“
"Was? Meine Nummer ist von diesem Jahr. Ich kenne dich nicht, Ich weiß nicht, wie du an meine Nummer kommst, und wenn das alles ist, dann lege ich jetzt auf. "
"Wa-"
30. September
Eingehender Anruf von +13 A005-UB63. Na gut, sie hatte gerade sowieso nichts zu tun. Sie hob ab. „Hi“, meldete sich Yaru.
„Was willst du?“ reagierte Min genervt, konnte dann aber ihre Neugier nicht unterdrücken. „Übrigens, wegen meiner Nummer, wie hast du das eigentlich mit den Buchstaben in deiner gemacht? "
„Was?“, meinte Yaru.
„Sie besteht aus Zahlen und Buchstaben“
„Ja, weil sie neu ist. Solche wie deine gibt's eigentlich nicht mehr. Bist du nicht aus Peking?“
Min runzelte die Stirn. „Geht dich eigentlich garnichts an, wo ich wohne. Aber ja, Ich bin aus Peking, und ich hab noch nie in meinem Leben so eine Nummer gesehen.“
„Angeblich waren das die Nummern im alten Peking“, entgegnete Yaru.
„Was meinst du mit altem Peking?“
„Na ja, alle Nummer vor 2132. Hast du noch nie vom alten Peking gehört?“ Seine Stimme klang ungläubig. Min verstand nicht, und sie runzelte die Stirn: „Warte, 2132? ? Machst du dich über mich lustig?“
„Nein, wieso sollte ich? Wir haben 2235.“
1. Oktober
Diesmal war Min es, die die geheimnisvolle Nummer wählte. Das Gespräch am Tag zuvor war viel zu verrückt, um wahr zu sein, aber es ließ sie einfach nicht los. Der Bildschirm ihres Handys leuchtete kurz auf, als Yaru abhob.
„Okay, also angenommen du sagst die Wahrheit und lebst wirklich in der Zukunft. Erzähl mir davon. Erzähl mir, wie deine Welt aussieht“, begann Min ohne Begrüßung.
Yaru lachte: „Ich weiß nicht… Sie sieht. . . normal aus?“
Min schüttelte den Kopf: „Okay, versuche einfach, mir die Farben und Formen zu beschreiben. Oder, gibt es viele Pflanzen? Oder Tiere?“
„Also… Unsere Gebäude sind sehr einfach. Einfache, quadratische Formen. Viel grau. Die meisten Häuser sind aus Beton, damit sie Stabil sind. Wir haben nicht viele Pflanzen, hauptsächlich Flechten und Pilze. Am Stadtrand haben wir sogar einige Felder. Sie werden natürlich künstlich mit Licht versorgt, und sie bringen viel Gewinn. Darauf sind wir sehr Stolz“ erklärte Yaru.
„Warum müssen sie künstlich beleuchted werden?“
„Wie sollen sie denn sonst wa- Oh, du lebst noch in der Zeit vor dem Aussterben der Oberwelt, nicht wahr? Wir haben keine Sonne hier, und auch keinen Himmel. Wir leben im neuen Peking, der Untergrundstadt Peking.“
„Was? ? Das glaube ich dir nicht. Was meinst du mit ausgestorben?“
„Die obere Welt ist gefährlich und ausgestorben. Das Leben dort ist schon seit über 100 Jahren erloschen. Ich war nie oben, aber das muss ich auch nicht gewesen sein. Jeder ist froh hier zu sein. Wir sind sicher hier. Die Stadt liegt genau dort, wo sie früher auch war, nur einige hundert Meter tiefer. Übrigens, wenn ich dir schon so viel über mein Leben erzähle, könntest du mir wenigstens deinen Namen verraten.“
„Ich bin Min“, sagte Min nur.
3. Oktober
„Wie gesagt, alles, was ich habe, ist deine Nummer aus den Notizen meiner Urgroßmutter, die sie hier hinterlassen hat, bevor sie verschwand.“ Sagte Yaru und gähnte.
Auch Min musste jetzt gähnen, sie hatte gestern viel zu lange gelernt. „Sie ist verschwunden?“
„Mhm. Ich kannte sie nie, nicht mal meine Großmutter kannte sie wirklich. Sie arbeitete an ihren Forschungen, bis sie vermisst wurde. Sie war noch nicht 30 zu dem Zeitpunkt.“
„Vielleicht sollten wir versuchen herauszufinden, was meine Handynummer in den Notizen deiner Urgroßmutter zu suchen hat. Hast du die Notizen gelesen?“ entgegnete Min prüfend.
„Ja, aber nichts Brauchbares. Das meiste macht keinen Sinn. Eine Reihe von Fakten in Stichworten und eine Menge Fragezeichen.“
„Auf jeden Fall sollten wir mehr darüber ausfindig machen. Was weißt du über die Geschichte der Untergrundstadt?“
„Nicht viel, wenn ich ehrlich bin,“ gab Yaru zu. „Nur das wir hier sind, weil die Oberstadt nicht mehr bewohnbar ist. Dort gibt es kein Leben mehr, mit Ausnahme einiger Fabriken, die wegen der toxischen Gase und dem Rauch nicht hier unterbracht werden können. Manche der Älteren haben Geschichten aus der früheren Oberstadt von ihren Eltern, aber wir wissen, dass es und hier besser geht, und das ist die Hauptsache, oder nicht?“
„Mhm“, machte Min nachdenklich.
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Nach dem Telefonat mit Yaru war Min motiviert, mehr über die Zukunft von Peking herauszufinden. Auf ihre Art. Sie schnappte sich ihre Schlüssel, ihren Laptop und ihr Notizbuch, sagte ihrer Mutter bescheid und machte sich auf den Weg zu Pekings Nationalbibliothek. Sie verbrachte eigentlich mehr Zeit in dieser Bibliothek als zuhause.
Als die Sonne unterging saß Min immer noch an ihrem Stammsofa in der Bibliothek, blätterte durch Bücher und scrollte durch Internetseiten, die sich mit der Veränderung der Welt in der Zukunft beschäftigten. Als sie schließlich aufstand, ihr Notizbuch zuklappte und beschloss, ihre Nachforschungsaktion für den Tag zu beenden, vibrierte ihr Handy und Yarus Name erschien auf dem Bildschirm. Kurzentschlossen ließ sie sich wieder auf das Sofa fallen und nahm den Anruf an.
„Hi Min“, kam die ihr mittlerweile vertraute Stimme aus dem Lautsprecher.
„Hi. Ich habe Neuigkeiten. Ich habe den Nachmittag dazu genutzt, Hinweise auf deine Untergrundstadt zu finden. Warte kurz“, antwortete Min beschloss, dass das gemütliche Sofa es nicht wert war, aus der Bibliothek geworfen zu werden, also stand sie auf und ging in die Toiletten und schloss sich in eine Kabine ein.
„Hast du irgendwas neues?“ fragte sie nun.
„Nicht wirklich. Mir war nur langweilig.“ Gab Yaru ehrlich zurück.
Min verdrehte die Augen. „Nett, dass du mich die ganze Arbeit machen lässt.“
„Du kannst das besser. Also, was hast du gefunden?“, wollte er wissen.
„Nicht viele nachgewiesene Fakten, nur Theorien. Weißt du wie groß die Population deiner Stadt ist?“
„Um die 10 Millionen? Vielleich etwas mehr,“ antwortete er skeptisch.
„Das ist… merkwürdig, aber es würde zu meiner Theorie passen. Du weißt, dass wir in meinem Peking gerade über 25 Millionen haben? Findest du es nicht interessant, dass mehr als 10 Millionen Menschen in 100 Jahren einfach so verschwunden sind? Glaubst du nicht, dass es möglich wäre, dass die Untergrundstadt einfach eine… Erweiterung der Stadt ist, weil die Bevölkerung zu hoch geworden ist? Das die Regierung eine Gefahr in der steigenden Population der Stadt gesehen hat und einfach… eine zweite Stadt bauen lassen hat?“
Einen Moment lang kam keine Antwort von Yaru, er schien nachzudenken.
„Ich will deine Theorie ja nicht gleich verwerfen, aber unsere Regierung hat uns viele Fakten vorgeführt, und ich bin mir sicher, dass sie uns nicht anlügen würden. Ich weiß nicht, wie das in eurer Oberstadt aussieht, aber wir sind eine Gemeinschaft hier.“
„Wenn du aufhören würdest, blind alles zu glauben, was die Regierung verkündigt, wären wir schon viel weiter. Weißt du eigentlich, was die angebliche Zerstörung der Oberstadt verursacht hat? Hat eure Regierung euch diesen Fakt auch mitgeteilt? Wäre es möglich, dass eure Regierung euch einfach nichts von der Oberwelt wissen lässt, damit ihr im Untergrund zufrieden seid?“
„Ich weiß nicht… Das glaube ich, sobald du es mir Beweisen kannst“
Min, die mit dieser Frage gerechnet hatte, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Okay, gerne. Du musst aber auch mithelfen.“
„Was soll ich tun?“, antwortete Yaru, und Min konnte einen leichten unwilligen Ton in seiner Stimme vernehmen. Sie ignorierte ihn. „Weißt du wo die Lieferanten reinkommen?“
„Ich glaube schon. Ganz in Norden gibt es eine Art riesigen Lieferanten-Lift. Da kommen sie rein und raus. Ich war noch nie dort, aber angeblich ist die Zone abgesperrt und wird überwacht.“
„Glaubst du du kannst hin und mit einem der Lieferanten reden?“
„Ich könnte es versuchen. Was willst du von ihm?“
„Ich möchte, dass du ihn dazu bringst, ein Buch aus der Nationalbibliothek runterzuschmuggeln. Die würde es sicher noch geben. Ich suche mir eines aus, dass die nicht so schnell austauschen werden. Ich werde eine Notiz in den Umschlag kleben. Wenn du sie hast, ruf mich an und ließ sie mir vor. Dann hast du deinen Beweis dafür, dass das Peking an der Oberfläche noch existiert.“
6. Oktober
Yaru mied diesen Teil der Stadt normalerweise, denn er war ihm nicht ganz geheuer. Die Beleuchtung wurde hier immer spärlicher, und viele Straßen waren abgesperrt. Hier streunen viele Katzen herum, die der künstlichen Beleuchtung der Stadt entfliehen wollten.
Ok, das müsste die richtige Straße sein. Yaru bog um eine Ecke und stand plötzlich vor einer riesigen Schranke. Die Schranke war kein großes Hindernis, aber etwa zehn Meter dahinter sperrte ein eiserner Gitterzaun das Gelände durchgängig ab. Da würde er nicht daran vorbeikommen. Dann würde er eben warten, bis eine Lieferung eintreffen würde und einen der Lieferanten abpassen, wenn er die Lieferung abladen würde.
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„Hast dus geschafft? ?“, waren Mins erste Worte, als Yaru an diesem Abend anrief.
„Ja! Ich musste den Typen bestechen, aber wir haben einen Treffpunkt für morgen“
Min grinste. „Super. Die Notiz ist bereits im Buch.“
7. Oktober
„Min! Ich hab das Buch!“, drang Yarus Stimme aufgeregt aus dem Lautsprecher ihres Handys, kaum hatte Min abgehoben. „Und da ist wirklich etwas im Umschlag, warte-“ Sie hörte, wie er die Klebestreifen vom Buchrücken zog. „Okay, Ich hab sie, und-“, er pausierte, „eine Zeitungsanzeige…? Neueste Volkszählung zeigt: Pekings Bevölkerung steigt gefährlich schnell…“ Yaru lachte: „Okay, Min, ich habs verstanden.“
„Also glaubst du mir?“
„Ja, ich glaube dir. Ich bin mir nur nicht sicher, was das jetzt für mich bedeutet.“
12. Oktober
Tage nach ihrem letzten Telefonat mit Yaru hatte Min plötzlich einen absurden Gedanken. Sie kramte nach einem Notizbuch, das nun voller Theorien und scheinbar zufällig gewählten Fakten war, und schrieb ihre Telefonnummer oben auf die erste Seite. Nur um sicher zu gehen.
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