Antiquität
In fremden Spiegeln sieht man anders aus. Deswegen steht man im Dunkeln auf der eigenen Gästetoilette, im Versuch, vor sich fremd zu wirken und die verlassene Tafel nicht ansehen zu müssen, nachdem der späte Abend und die Eingeladenen das Haus bereits verlassen haben. Kaltes Wasser über die Handgelenke laufen lassen, die immer noch ordentlichen und professionell colorierten Haare richten. L. schreibt: "ich wünsche uns beide weit weg von hier“. Durchatmen, ersticken. Eine Antwort an L. tippen: „ich auch“ und „brauche frische luft mit dir“. Handy einstecken.
Der Gatte lobt den Abend und die charmante Gastgeberin. Man richtet diese Dinner seit jeher aus: Der leidenschaftliche Antiquitätensammler und Gatte zeigt seine Sammlung. Stolz präsentiert der Gatte den Bekannten seine bezaubernde Ehefrau und seinen antiken Tisch. Dies ist sein Lieblingsstück, die teure Tafel, die das Esszimmer ausfüllt, jeden Abend, auch an denen ohne Gesellschaft so glattpoliert, dass man das eigene Spiegelbild darin sieht, die zauberhafte Ehefrau und charmante Gastgeberin. „morgen?“, schreibt L.
Der Gatte noch wach, wandert man zu Bett und überlegt, ob die Falten im Gesicht neu sind. Bestimmt nicht. Der Spiegel im Hauptschlafzimmer, ebenfalls eine geschmackvolle Antiquität, zeigt niemals Neues. Man schreibt „ja ich muss hier raus“ an L. L. , der zu Abwegen verführt und so neues Land erobern will, während man sich in den altbekannten Antiquitäten der eigenen Wohnung verirrt.
Man habe Kopfschmerzen und brauche Ruhe, danke, nichts, was er tun könne, verabschiedet man sich am nächsten Morgen vom Gatten, entfärbt die dunklen Haare mit einem Mittel aus der Drogerie mehr schlecht als recht zu einem schmutzigen Blond und lässt sich von L. abholen. Er öffnet die Beifahrertür, fährt zu schnell durch fremde Straßen, stundenlang durch unbekanntes Land, über die Grenze steuert er bis ans Meer, verbringt zu lange mit Einparken. Der Strand ist menschenleer, und frischer Wind bläst über nassen Sand. Man lässt zu, dass L. einen immer weiter führt. „Dein Haar hat die Farbe von Sand“, sagt er.
Und: „Ich träume mich fort von hier, übers Wasser, Aufbruch ins Neuland, mit dir“. Er will uns von den Wogen forttragen lassen, doch diese bringen bloß ein altes Stück Treibholz heran. Der Ast ist vom Meer ganz glatt geschliffen und dennoch matt, die See zu bewegt, um sich darin zu spiegeln. „Fahr mich heim“, sagt man. Auf der Rückfahrt macht man telefonisch einen Frisörtermin aus. Nachfärben. L. fährt langsam, nimmt eine der Strähnen zwischen seine Finger. In der eingebrochenen Dunkelheit sehen alle Straßen unbekannt aus, aber man könnte schwören, dass eine jede an denselben Ort zurückführt.
„am wochenende wieder?“, schreibt L. Man antwortet: „du solltest allein übers meer. fahr vorsichtig“, löscht die Nummer. Mehr Falten im Gesicht. Eine neue Feier an der alten Tafel findet statt. Das Dinner ist gelungen. Stolz präsentiert der Gatte den Bekannten seine antike Ehefrau und seinen bezaubernden Tisch.
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