Auf der Mariahilferstraße
Charaktere:
Markus
Der Chef
Die Frau ohne Schneidezähne
Wasti
Gustl
Kommissar Birkner
Spurensicherer
Knebelvertragssklavin 1
Knebelvertragssklavin 2
Knebelvertragssklavin 3
Szene 1
Nacht, 1: 02. Zwischen den Säulen des Lamarr- Rohbaus blitzt ein Scheinwerfer. Menschenleere. Die meisten Lichter in den Wohnungen sind bereits erloschen, die Bauarbeiten ausgesetzt. Zwei Männer mittleren Alters schleppen sich voran. Alkoholgestank. Der eine ist sechsunddreißig, trägt ausgewaschene Jeans, hat ein Cobratattoo auf dem linken Oberarm. Hört auf den Namen Markus. Die rechte Hand gepeinigt von der Last des Benzinkanisters. Hat Schweißperlen auf der Stirn von der Plagerei. Der zweite: zweiundvierzig. Schleppt nicht, besser wird geschleppt. Hört auf keinen Namen, Chef muss reichen. Der Chef befindet sich in dem Sack, der von Markus´ linkem Oberarm hängt. Er wird von Markus unsanft zu Boden geworfen.
Markus zum Chef: Mein Pensum. Ich habe es nicht erfüllt.
Kurze Pause
Ich träume von Stille
Chef: . . .
Markus: Ja ich rede mit Ihnen! So rede ich mit Ihnen!
Chef: . . .
Markus lacht: Verträge brennen schlecht. . .
Stellt den Benzinkanister ab.
Ich und Angst? Niemals.
Zitiert Marx: “Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. ”
Szene 2
Nacht, 1: 20. Die Frau ohne Schneidezähne, um die dreißig, schmutziger Logo- Pulli, liegt im Eingangsbereich des Juweliers Schmitt. Der Boden ist von Zeitungspapier gespickt, leere Flaschen und gerauchte Kippen türmen sich. Seit Stunden starrt sie auf die Spinnweben der fahl beleuchteten Auslage. Im Kopf ein Rauschen. Oder ist es die Kälte draußen? Der Rottweiler Wasti spendet Wärme. Er ist leicht unterernährt, weicht ihr aber nicht von der Seite. Ein Schatten in der Auslage, ein Mann. Die Frau ohne Schneidezähne lispelt leicht.
Der Mann tritt näher und zeigt sich erkenntlich, abgetragener Trenchcoat, Sturmhaube und Cowboy Hut in die vermummte Stirn gezogen.
Die Frau ohne Schneidezähne: Leck mi am Oarsch!
Wasti knurrt.
Gustl: I vermiss´ di. Ehrlich.
Frau ohne Schneidezähne: I di owa ned.
Gustl: . . . Sie ham scho wieda obglehnt
Frau ohne Schneidezähne genervt: Die Notschlafstelle?
Gustl: Die Notschlafstelle.
Frau ohne Schneidezähne: Du haust di jetzt sicha ned wieda zu mir. Owa sicha ned.
Wasti fletscht die Zähne.
Gustl: I hob jetzt sogoar an Job g´hobt, i bin onständig gworden, i. . .
Feuer bricht in einiger Distanz in dem Kaufhaus hinter ihnen aus, Schreie ertönen, Gustl wird von der Frau unterbrochen, da er mit dem Rücken zum Feuer steht.
Frau ohne Schneidezähne: Hinter dir, steh um!
Er dreht sich um und verfällt in Panik.
Gustl resigniert: Apokalypse! Es passiert.
Jammert.
B. . . bitte loss mi zu dir. Wenn mi die Cops dawischn, donn is es aus, wirkli. . .
Frau ohne Schneidezähne ebenfalls ängstlich und wild in alle Richtungen blickend: Jo, kumm. . .
Gustl schlüpft zu ihr unter den Schlafsack. Beide verstecken sich, Wasti stellt sich tot. Sirenen heulen, schweres Gefährt rückt an. Männerrufe. Zischen und Knistern. Aus Ausharren wird ein unruhiger Schlaf.
Früh morgens. Die Frau ohne Schneidezähne wälzt sich, schlägt die Augen langsam auf. Gustl liegt nicht mehr neben ihr, das Papier ist zerknüllt. Langsam richtet sie sich auf. Ein Schock, ein Schmerz. Gustl hockt in der linken Ecke, der Mauer zugewandt. Es schmatzt, Zähne malmen, wie von einem Tier.
Frau ohne Schneidezähne erschrocken: Gustl! ?
Keine Antwort, nur weiteres Schmatzen.
stotternd: W. . . Wasti?
Sie robbt nach vorne. Gustl immer noch mit Sturmhaube über den Hund gebeugt, seine Zähne tief im Fleisch des ausgeweideten Tiers vergraben. Blut klebt an dem schwarzen Stoff, weiteres wird von dem Zeitungspapier geschluckt.
Sie schreit.
Keine Reaktion von Gustl.
Sie schlägt gegen ihn, kratzt, reißt ihm schließlich die Sturmhaube vom Kopf. Ein bleicher, kahler Schädel, dreht sich um 180 Grad, ohne mit dem Rücken mitzugehen, zu ihr und grinst. Spitz zulaufende Eckzähne stehen hervor.
Die Frau ohne Schneidezähne schreit noch ein letztes Mal, aber niemand kann sie hören.
Szene 3
Vormittags, 10: 13, Lamarr- Kaufhaus. Inspektor Birkner steigt aus seinem 20 Jahre alten Audi A2 und zündet sich eine Tschick an. Es ist sein achtunddreißigstes Dienstjahr. Vier Treppenaufgänge liegen vor ihm, mühsam motiviert ihn der Betrag des Gehalts vor seinem inneren Auge, diese zu bewältigen. Am Tatort angekommen, umringen ihn bereits Spurensicherer, Polizisten und der Codein- abhängige Profiler. An einer kargen Säule lehnt das Brandopfer, den Mund zu einem Schrei verzerrt.
Birkner: Diese Stadt wird mir irgendwann den letzten Nerv kosten. Die Geburtenrate sinkt, weil es ist ja jeder heutzutage so furchtbar liberal und progressiv, aber Leichen gibt es wie Sand am Meer. . .
Kurze Pause
Also, mit wem haben wir das Vergnügen?
Spurensicherer: Die Identität des Opfers konnte noch nicht zugeordnet werden. Fest steht, dass ein Freitod ausgeschlossen werden kann. Die Tat dürfte wohl gegen 1: 25 in der Nacht auf den 19. Oktober mittels Feuerzeugs und Kanister verübt worden sein. Es ist von einem Einzeltäter auszugehen. Der DNA Test erfolgt in den nächsten 24 Stunden. Auffallend sind die zwei Bissspuren an dem Hals des Opfers. Da diese nahezu einem Kreis entsprechen, können Mücken- oder Nadelstiche ausgeschlossen werden.
Birkner lacht: Oho, Schauermärchen wie von einem Groschenroman. Gefällt mir.
Zündet sich eine zweite Tschick an.
Überprüfen Sie jegliche Überwachungskameras in dem Radius von drei Kilometern.
Spurensicherer: Jawohl
Birkner: Es wäre doch gelacht, wenn wir diese Übeltäter nicht finden. . .
Szene 4
Mittag, 13: 45. Drei Frauen auf dem Gang des Statistikbetriebes Wiedehopf. Alle kreidebleich, haben zu lange Eckzähne und blutunterlaufene Augen. Sind in weiße Hemden gehüllt.
Knebelvertragssklavin 1: Seid ihr bereit?
Nicken.
Knebelvertragssklavin 2: Ich glaub, dass der zu klein ist.
Deutet auf Holzpflock in der Hand ihres Gegenübers.
Knebelvertragssklavin 1: Na und? Treffen muss man. . .
Knebelvertragssklavin 3: Umsonst ist alles, ich sag´s euch nur. Wenn er aufwacht, ist alles umsonst.
Knebelvertragssklavin 1: Ich glaube, du verstehst nicht. Wenn wir´s nicht versuchen, ist alles umsonst.
Knebelvertragssklavin 3: Es versuchen, es versuchen, die Tortendiagramme warten nicht auf mich. . .
Knebelvertragssklavin 2: Genau das will er doch von uns. Uns dem Schicksal gefügig machen.
Knebelvertragssklavin 3. Ja und? Heute wars doch in den Nachrichten. Markus hat sich gewehrt, Gustl hat sich gewehrt und wo sind die jetzt? Das kann nicht gut gehen. . .
Knebelvertragssklavin 1: Dann kümmere ich mich eben darum, dass es gut geht.
Reißt längliches Holzstück aus dem Türrahmen heraus, das doppelt so groß ist wie der Pflock und schreitet in Richtung Chefetage.
Knebelvertragssklavin 2 und 3: Halt!
Sie hört nicht.
Szene 5
Nacht, 1: 20, Lamarr- Kaufhaus
Markus übergießt den Sack, in dem der Chef liegt, mit Benzin und beugt sich zu ihm hinunter
Markus murmelnd: So. Bald werden die Ketten gesprengt sein, schon sehr bald. . .
Er kramt sein Feuerzeug hervor, hält es über den reglosen Leichnam. Plötzlich, eiskalt. Eine Hand fährt aus dem Sackinneren hervor, schlägt Markus die Flamme aus der Hand.
Der Chef röchelnd: Ich bevorzuge. . . fleißige Menschen.
Der Chef schält sich aus dem Sack, packt Markus mit seiner knochigen Hand an der Gurgel.
Markus eingeschüchtert: Nein, nein, bitte nicht. . .
Japst.
Ich wollte Ihnen nie Probleme bereiten!
Der Chef: Probleme sind nur dornige Chancen.
Markus zittrig: Bitte. . . ich werde auch meinen Mund halten. . . versprochen.
Der Chef drückt Markus´ Gurgel immer fester, zieht ihn an sich heran, bohrt beide Eckzähne in das bleiche Fleisch.
Der Chef: Nun, dies ist ein schweres Vergehen. Ich muss Sie leider. . . mhhh. . . feuern.
Markus starrt seinem Vorgesetzten in die Augen. Sie lodern. Er spürt, wie sein Leib immer wärmer wird. Wie seine Haut sich langsam vom Fleisch abschält und Flammen aus seinem tiefen Inneren schießen. Er brüllt, er windet sich vor Schmerzen.
Der Chef: Wer nicht hören will, muss fühlen.
Er schreitet in die Nacht davon. Lediglich das Feuerzeug und der Benzinkanister bleiben zurück.
Szene 6
Nachmittag, 16: 55, Statistikbetrieb Wiedehopf
Knebelvertragssklavin 1 blutüberströmt mit blutigem Türrahmenpflock in der Hand: Er ist tot.
Knebelvertragssklavin 2: Tot?
Knebelvertragssklavin 1: Ja, tot.
Knebelvertragssklavin 3: Aber
Knebelvertragssklavin 1: Das ist sein Blut.
Knebelvertragssklavin 3: Dann-
Knebelvertragssklavin 1: Ja, bin mir ziemlich sicher.
Knebelvertragssklavin 2: Schau, die Haut ist wieder rosig.
Knebelvertragssklavin 3: Meine Zähne. . .
Knebelvertragssklavin 1: Und die Sonne. . .
Knebelvertragssklavin 3: . . . hab´ ich vermisst
Knebelvertragssklavin 2: Dann los. . .
Alle drei Frauen nehmen sich an den Händen und gehen gemeinsam Richtung Ausgang. Sie werden nie wieder gesehen.
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