Auf der Suche
Hier saß ich, vornübergebeugt mit den Ellbogen auf den Knien und lauschte den Worten des alten Mannes, der sich mit der Behauptung, seine gebrechlichen Beine könnten ihn nicht mehr länger halten, neben mich auf die Bank fallen ließ. Ich besitze eine Abneigung gegen alte Menschen, da diese immer über belanglose Dinge mit einem sprechen wollen, aber dieser Mann störte mich besonders. Nicht nur dass er meine Ruhe störte, wegen seines Smalltalk Bedarfs, nein, er saß noch dazu bedrohlich nah an mich gepresst. Sein Bein berührte meins und seit seinem Erscheinen lebte ich in der Angst, er könnte bald ganz auf meinem Schoß landen. Er drehte sich mir zu und lächelte. „Noch auf der Suche?“, fragte er. Na toll, dachte ich. Der Typ war einer von der komischen Sorte: nicht nur alt, sondern auch geistig zurückgeblieben. Statt ihm zu antworten, lauschte ich den Wellen, welche im regelmäßigen Abstand gegen das Deck schlugen. Er fragt erneut.
„Wonach denn?“, brach ich schließlich entnervt heraus. Er begann zu lachen, dies brachte ihn jedoch außer Atem, sodass er nur schnaubend antworten konnte: „Dem Mut, natürlich.“ Nun war ich gänzlich verwirrt. Was meinte dieser Narr? Warum sollte jemand wie ich auf der Suche nach Mut sein? „Ich will nicht eingebildet klingen, jedoch möchte ich behaupten, dass ich eine Menge an Mut besitze.“ Doch als ich dies kundgab, würdigte mich der Mann nur eines ungläubigen Blickes. „Ach, Sie glauben mir nicht. Was? Ich tue so einiges, was anderen Leuten Angst macht. Ich habe keine Angst vor Höhe, Wasser, Insekten oder dergleichen.“ „Ach, mein Junge, Sie haben doch wirklich gar keine Ahnung. Nur weil Sie in Ihrer Freizeit gerne Fallschirmspringen oder Tiefseetauchen gehen, heißt das doch nicht, dass Sie dem Mut schon begegnet sind.“ Jetzt war ich nun wirklich verärgert. Überall anders hätte mich einfach aus dem Staub gemacht, jedoch wusste ich nicht, wohin mit mir. Es war bereits spät, aber ich war nicht müde. Stattdessen richtete ich meinen Blick auf das offene Meer. Es wirkte auf mich bedrohlich. Man kann nie wissen, was dort auf einen wartet.
Schließlich widmete ich dem Alten wieder meine Aufmerksamkeit. Dieser fuhr fort: „Das zu tun, wovor die meisten Angst haben, bedeutet nicht gleich, mutig zu sein. Mutig ist man dann, wenn man sich seinen eigenen Ängsten stellt. Manche haben einfach nicht den Mut dazu, mutig zu sein. Am schlimmsten sind jedoch die, die denken, sie seien bereits mutig. Wie soll die Suche gestartet werden, wenn man nicht weiß, wonach? Ach, jahrelang bin ich ziellos umher geirrt.“ Nun hatte der Mann mich zum Nachdenken gebracht. „Sie meinen, wir ähneln uns und ich sollte mich früher auf die Suche begeben?“, fragte ich erschüttert. Sein Gesicht erleuchtete. „Jetzt beginnst du zu verstehen, mein Junge. Sprich mit ihr! Stell dich deiner Angst.“, dies waren seine letzten Worte.
Dann glitt sein Blick aufs Meer. Er lächelte, mit den Gedanken schon bei ihr und schloss zufrieden seine Augen.
Hatte er den Mut gefunden?
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