Auf Wolkenvon Laetitia Blahout
Watte war unter seinen Füßen, ein Kribbeln auf seinen Sohlen. Manchmal versank er in der weichen Masse unter ihm, dann stolperte er oder fiel zu Boden. Aber er lachte jedes Mal nur und stand wieder auf. Die Zeit war stehengeblieben. Eine übermächtige Kraft zog seine Augenlider nach unten und die Watte unter seinen Füßen fand sich auch in seinen Ohren wieder. Aber das alles machte ihm nichts aus. Denn es gab nichts Schöneres, als auf Wolken zu gehen.
Mit einem Knall fiel die Tür in das Schloss und er verfluchte sich. „Da bist du ja endlich“, rief sie ruhig aus dem Nebenzimmer, aber in ihrer Stimme schwang ein Vorwurf mit. Er ging in die Küche, holte sich etwas aus dem Kühlschrank und setzte sich zu ihr an den Tisch. „Es riecht nach Rauch“, sagte er. Dann musste er kichern. „Rauch“, wiederholte er und blies das Wort in den Raum. Sie lachte nicht. Ihr Blick war kalt: „Hast du sie wenigstens mit?“ Wie automatisch fuhr seine Hand in seine Hosentasche, als er sie herausholen wollte. Aber seine Hand griff ins Leere. Er keuchte und fiel aus allen Wolken. Die Zeit war stehengeblieben. Jetzt lachte sie, aber er verstand nicht wieso. Sie warf ihren Kopf nach hinten und ihr Lachen war so kehlig, so laut. „Du bist ein Versager. Was sollen wir jetzt machen?“, fragte sie ihn. „Wir schaffen es auch ohne“, flüsterte er. Sie musste kichern. „Wir schaffen es auch ohne? !“, wiederholte sie belustigt und schleuderte den Satz in den Raum.
„Die Zahlen, die unser Leben bestimmen. Die uns vorantreiben, im selben Takt, auch wenn wir nicht mehr können. Tick-tack, tick-tack, nur so funktionieren wir. Aber jetzt gibt es nichts mehr, was uns festhält. Nichts mehr, was gezählt werden kann. Die Sekunden, Stunden, Jahre werden verfliegen, ohne dass wir sie ergreifen wollen. Wir können nicht mehr ohne sie leben!“ Ihre Augen waren starr und ihre Hände zitterten. Er probierte ihre Hände zu ergreifen, aber seine Sicht war bewölkt und er griff daneben.
„Schatz. Ich habe eine Idee“, antwortete er ihr, „wir schaffen das ganze System ab! Anfangs war es hilfreich, aber jetzt ist es eine Last. Wir sind Knechte unserer eigenen Erfindung. Denn es ist nichts als eine dumme Erfindung! Tick-tack, tick-tack, ich kann es nicht mehr hören!“ Die Wolken umarmten ihn wieder und machten ihm Mut, etwas ganz Bestimmtes noch auszusprechen: „Weißt du… vielleicht habe ich sie absichtlich vergessen.“ Sie sprang auf und rannte hektisch hin und her. Seine müden Augen konnten ihren schnellen Bewegungen nicht folgen und er verstand nicht, was sie sagte.
„Halt dein Maul“, brummte er und in ihren Augen blitzten Gewitterwolken auf. Von der Theke nahm sie ein paar Zettel und hielt sie ihm vors Gesicht. Rechnungen. Die Zahlen, die sein Leben bestimmten, wackelten und drohten vom Papier hinunterzufallen. Er wollte sie auffangen, aber es war zu spät. Tick-tack. Er hatte die Geldscheine vergessen. Seine Frau weinte. „Du hast versprochen, dass du dich zusammenreißen würdest. Für uns. Weißt du nicht mehr?“ Nein, er wusste nicht mehr. Vergessen hatte er vieles, in den letzten Monaten, und die Zeit verging so ganz anders hier oben, auf den Wolken. Trotzdem versicherte er ihr, dass alles in Ordnung wäre. „Ich habs‘ im Griff“, ist jedoch eine sehr zweideutige Aussage, wenn man eine Bierflasche in der Hand hält.
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