Aus sauer wird süß
Die Konditorei zum rosa Rathaus Mädchen. Ein kleines Etablissement, das sich durch seine handgemachten Süßspeisen in die Herzen der Wiener schlich. Und bald sollte es die Möglichkeit bekommen von einem Geheimtipp unter den Einheimischen zu einem bedeutenden Namen aufzusteigen. Dies hing allein von einem einzigen Auftrag ab: Die Bundespräsidentin sollte morgen heiraten und wünschte sich eine 3-stöckige Hochzeitstorte aus besagtem Hause. Demnach hatte die Inhaberin zwei ihrer fähigsten Angestellten mit dieser Aufgabe betraut: Valerie und Amelie.
Aber bereits zu Beginn stellte sich heraus, dass die beiden Bäckerinnen nicht unterschiedlicher hätten sein können. Valerie war eine flinke Arbeiterin, die ihre Aufgaben innerhalb kürzester Zeit erledigte, während sich Amelie alles, was sie tat, langsam und mit Fingerspitzengefühl ausführte. Die beiden stolzen Bäckerinnen hatten jeweils ein eigenes Bild davon, wie sie diese Aufgabe gestalten wollten. Demnach waren die Spannungen zwischen den Damen kaum verwunderlich.
Die Situation spitzte sich bei der Zubereitung der Tortendekoration zu. Zuerst sollte Fondant glatt geknetet werden. Hierfür war Amelie zuständig, die auch bei dieser Aufgabe mit viel Gefühl vorging und den Teig behutsam abtastete. Aber Valerie platzte bei diesem Anblick der Kragen. Man solle den Teig nicht streicheln, sondern KNETEN, dachte sie, als sie Amelie forsch zur Seite stieß und selbst begann den Teig demonstrativ fest zu klopfen. Amelie musste genervt zusehen.
Nachdem die Torte in Fondant eingewickelt war, mussten Verzierungen angefertigt werden: kleine Rosen aus Marzipan. Valerie sollte dies übernehmen, doch ein Blick auf die Wanduhr verriet ihr, dass die Inhaberin bald kommen würde, um die fertige Torte zu betrachten. Also versuchte sie schnell die Marzipan-Blätter zusammenzustecken. Doch Amelie sah, dass durch ihre schlampige Arbeit die Rosen unfertig aussahen. So drängte sie Valerie beiseite und nahm sich selbst der Aufgabe ruhig an. Doch diese Aktion war der Funke, der die Spannungen explodieren ließ.
Sie begannen zu streiten, beide aus demselben Grund: Keine arbeitete so wie es die andere von ihr voraussetzte. Doch das Gefecht schwächelte nach einiger Zeit, als sie bemerkten, dass dies keinen Zweck hatte: Eine tickende Uhr nahm schließlich auf niemanden Rücksicht. Dies bewegte sie schlussendlich sich für die letzten Backschritte aufeinander einzulassen. Die Rosen mussten die Torte noch zieren und Kekse als Garnitur zerbröselt werden. Valerie und Amelie wandten sich beide ihren Aufgaben zu, doch diesmal hatten sie die jeweils andere an ihrer Seite, die ihnen mit Rat beiseite stand. Und als letzten Akt der Versöhnung zerstreuten sie die Keksbrösel über die Torte. Und das Endergebnis war:
„Ein Gedicht!“ jauchzte die Bundespräsidentin am Tag ihrer Hochzeit. Mit Stolz blickten die beiden Bäckerinnen auf ihre Arbeit zurück. Dies hätten sie nie erreichen können, hätten sie ihren Stolz nicht auf die Seite gelegt und aufeinander gehört.
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