Auszeit
Langes Gras streift meine nackten Beine. Sanfter Wind weht durch mein zerzaustes Haar. Mein Gesicht wird von der Nachmittagssonne angenehm gewärmt. Ich gehe ein paar Schritte vorwärts. Vor mir erstreckt sich eine nahezu unendlich erscheinende Landschaft aus abertausenden Grüntönen und den buntesten Farben, die man sich vorstellen kann. Ich weiß nicht, wer ich bin und was ich an diesem unbekannten Ort mache, aber ich fühle mich gut.
Aus dem Nichts heraus kommt ein hellgelber Schmetterling angeflogen und setzt sich auf meinen ausgestreckten Zeigefinger, den ich ihm entgegenhalte. Neugierig betrachte ich das Tier. Das Muster auf den Flügeln. Die filigranen Fühler. Die kleinen Augen. Schmetterlinge wirken so wunschlos glücklich und frei. Kein Druck, der ihnen von der Gesellschaft entgegengebracht wird. Kein Hass und keine Beschimpfungen. Ich komme zu dem Schluss, dass es schön sein muss, ein Schmetterling zu sein. Doch so plötzlich das Insekt aufgetaucht war, so plötzlich haut es auch wieder ab. Ich beschließe, dem Tier zu folgen.
Nach einer Weile entdecke ich in der Ferne einen Wald. Aus einem mir unbekannten Grund spüre ich das starke Bedürfnis, mir ihn aus der Nähe genauer anzusehen. Ich gehe weiter in Richtung Wald, der Schmetterling immer noch vor mir.
Die Müdigkeit überkommt mich mit einem Mal. Langsam sinke ich auf den Boden. Meine Augen fangen an zu flackern. Aber ich habe mein Ziel doch noch gar nicht erreicht. Ich will nicht einschlafen! Doch ich kann nichts dagegen unternehmen. Das Letzte, was ich sehe, ist ein strahlend blauer Himmel. Dann Dunkelheit. Stille.
"Die Simulation ist nun beendet", ertönt eine monotone, mechanisch klingende Stimme. Was? Wo bin ich? Was für eine Simulation? Ich schaue mich um. Ich befinde mich in einem geschlossenen Raum. Überall hängen verschiedene Kabel an meinem Körper. Und auf einmal kann ich mich an alles erinnern. Um dem grauen, eintönigen Alltag unserer Gesellschaft zu entfliehen, hat uns unsere Regierung jedem vor vielen Jahren täglich eine Stunde sogenannte "Auszeit" verschrieben.
Ich hasse die Gegenwart. Die Natur ist zerstört. Alles ist zugebaut. Alle sind unglücklich. Wenn das so weitergeht, ist unsere Erde bald komplett zerstört. Aber ich kann nicht mehr tun, als auf den Zauber der Zukunft zu hoffen.
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