Azathoth, oder der diametrale Abschaum am Ende von Jakobs Wendeltreppe
“Sie sind tot”, sagt mein pagenköpfiger Chauffeur, die Samthandschuhe fest um das kunstlederne Lenkrad geschlungen. Ich sitze auf der Rückbank eines silbrigen Ford Fokus; nippe an einer Cola Light, so schwarz wie jene Wand, die vor den getönten Fensterscheiben des fahrenden Autos steht und grinst. Beliebige Weltmusik schwingt sich durch die Stereoboxen bis zu den weichmacherdurchtränkten Rücksitzen. Es riecht nach Davidoff Aftershave und Menthol.
“Pass”, sagt plötzlich ein mit Kampfmontur ausgestatteter Uniformierter durch die geöffnete Windschutzscheibe. Ich muss eingenickt sein, entschuldige mich bei ihm und krame einen Ausweis aus meiner Cordhose. Mein Gegenüber nickt stumm, gibt dem Fahrer ein Zeichen, die Scheibe hoch zulassen und wir rollen an der schwer bewaffneten, vor einem meterhohen Maschendraht posierenden Brigade der cop’esken Cherubimgrenzkontrollen vorbei. Als hätte man die Fenstertönung abgekratzt, erstreckt sich vor meinen Augen eine rötliche Hügellandschaft voller halboffener Wellblechhallen, Pommesbuden, Farmen und Kreisverkehren.
“Willkommen im Limbus”, sagt mein Gefährte, genannt Faergil, der den Wagen auf einem leeren neunzig-mal-acht-Parkplatz zum Stehen bringt und wir steigen aus.
Draußen werde ich in feuchten Nieseldunst gehüllt, graue Schneehäufchen liegen kieselsteingesprenkelt am Betonklotz einer flackernden Flutlichtlaterne. Eine dünne Matschschicht legt sich über meine Fußsohlen. Am Himmel zucken Tentakel wie Blitze, der Äther brodelt, als würde er über eine Feuerstelle gehalten. Stumm folge ich Faergil.
In der Ferne ist eine Art Pferdekoppel zu erkennen. Ein Zaunkreis, in dem eine Menschenhorde ihre Runden dreht. Mit glasigem Blick und verkrüppeltem Nacken starren sie immerzu auf einen schwarzen Kasten in ihren Händen, steigen sich ungelenkt gegenseitig auf ihre nackten Füße. Manche Augen hängen bereits aus den Höhlen und fließen in das fluoreszierende Blau. Ein Telefonmensch, dessen Kabel aus bloßen Augenmuskeln besteht, die von dem Hirnnerv wie von einer Steckdose zehren.
Farbloser Schattenschleim fließt über den Himmel. Weiter oben kreisen fleischige Kreaturen mit Greifen-Flügeln, die mit ihren Wurstärmchen auf Sanduhrtrommeln schlagen und mit deformierten Mündern fest in Rohrblatt-Flöten pusten.
Ich liege, starre in den rosa Himmel. Es holt mich langsam ein.
Scheunen mit Masseninfluencerhaltung. Tiktokprominenz, eingepfercht zwischen engen Käfiggittern; das Smartphone zum Haupt, verdammt auf ewig Kryptowährung aus ihrem zensierten Anus zu pressen, direkt in die Münder von gesichtslosen Anzugträgern, die sich einzig an zahlenschwangeren Excel-Tabellen laben.
Es ist der Spiegel, der sich im Spiegel spiegelt. Der Heroinkranke, der sich gegen das Blut im Stuhl die Spritze in die Sehne sticht. Der endlose Schiffbruch, ohne, dass jemals jemand ertrinkt. Der Kreisverkehr ohne Abfahrt und der Ed Sheeran Song auf Shuffle. Für immer.
Schlechte Seelen kommen in die Hölle, Ohneseelen erreichen es nie. Das Ende von Jakobs Leiter.
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