Bachaufwärts
Fernab von jedem Hofe
Ruht ein alter Wandersmann.
Im kühlen Dickicht denkt er an
Die oft gehörte Strophe.
An jene Strophe, die ihm einst
Das Herz ließ höher schlagen.
Die Stimme einer Jungfrau, reinst,
Hat's an sein Ohr getragen.
Er rang sie ab dem Wind,
Der gierig schlucken wollte,
Was übrig ließ die Brandung,
Die donnernd nieder rollte.
Die Welle warf ans Land,
Gebrochen von der See,
Den Schiffer, der am Strand
Nun klagte laut sein Weh.
"Seit über vierzig Tagen,
Quält das Meer mich schon!
Nur Salzwasser im Magen,
Den Möwen preis zum Hohn!
Gesteuert in das Riff,
Sog Tiefe uns herab,
Durchtränkte unser Schiff,
Poseidon trieb mich ab. "
Da tönte jene Stimme wieder,
Schallend an der Küste,
Als ob sie keine ander'n Lieder
Und and're Strophen wüsste:
"In Todesangst hat Kapitän
den Kahn im Stich gelassen;
Die Mannschaft, sie sind alle tot.
Klabauter kriegt ihn doch zu fassen,
Den feigen Kapitän! "
Der Schiffer sah das Bündel an,
Aus Planken und aus Leinen,
Das trug ihn über'n Ozean
Und Zweifel gab es keinen:
Etwas dort im Treibgut sang.
Er suchte nach dem hellen Klang
Und kehrte stärksten Balken um;
Die Stimme - augenblicklich stumm.
So hielt er die Galionsfigur
An seinen Busen eng gepresst,
Auf die er leistete den Schwur,
Dass niemals er sein Schiff verlässt.
Und wo friedvoll war'n die Züge
Ihrer Miene, holzgeschnitzt,
Hatte ewig Well'ngefüge
Ihr den Ingrimm eingeritzt.
Die herben Wangen zuckten,
Und Salz und Sand jetzt spuckten
Die Lippen voller Gräten,
Die rasselnd Flüche säten.
Vor der grausigen Gestalt
Fiel der Schiffer in den Sand.
Als panisch floh er Richtung Land,
Mit aller Kraft die Strophe schallt:
"In Todesangst hat Kapitän
den Kahn im Stich gelassen;
Die Mannschaft, sie sind alle tot.
Klabauter kriegt ihn doch zu fassen,
Den feigen Kapitän! "
Der Schiffer eine lange Zeit
Ins Hinterlande rannte.
Am Ende war er gar so weit,
Wo Meer man nicht mehr kannte.
Bis Bart und Haar war'n weiß wie Mehl,
Blieb er in den Bergen.
Denkend, dass er sich so stehl'
Vor Klabautermannes Schergen.
Von Klüften eng umfitticht,
Sitzt er nun als Greis.
Da tönt wieder durch's Dickicht
Die Stimme bös' und leis.
Alter Mann, du wolltest
Dich und das Wasser trennen,
Wo du doch einseh'n solltest:
So weit kannst du nicht rennen.
Dort steht sie an dem Bache,
Ikone seiner Schuld,
Das Sinnbild einer Rache,
Die Zeit hat und Geduld.
Galionsfigurenzähne
Das Tageslicht erringen.
Die tödliche Sirene,
Sie lässt ihr Lied erklingen:
"In Todesangst hast, Kapitän,
den Kahn im Stich gelassen;
Die Mannschaft, sie sind alle tot.
Klabauter kriegt dich doch zu fassen,
Dich feigen Kapitän! "
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