Badezimmer Gedanken
In der Dunkelheit konnte sie nichts sehen. Gar nichts. Unsichtbar. Nicht existent. Kalt.
Dann nahm sie einen langen Zug von ihrer Zigarette und die kleine Glut blühte ein wenig auf, bevor sie wieder erlosch, während sie ausatmete und sich gegen die Badewanne lehnte.
Sie mochte das Rauchen nicht. Es war wirklich schrecklich. Ihr Atem schmeckte abgestanden und ihre Haut war faltig. Aber es gab ihr eine Entschuldigung und schützte sie … auf einer gewissen Ebene. Es schien, dass nicht nur sie das Rauchen hasste.
Sie warf einen Blick in die ungefähre Richtung der Tür, von der sie wusste, dass sie direkt ins Wohnzimmer führte und wo sie wusste, dass er sich im Moment ausruhte.
Das war der einzige Grund, warum sie diese goldenen Minuten jetzt für sich selbst bekam. Denn er schlief in dem Moment ein, als er die Wohnung betrat.
Es war Glück und Qual zugleich.
Sie wusste nie, in welcher Stimmung er aufwachen würde. Würde es wie die Zeiten sein, in denen er vor sich hin singen und sie bei jeder Gelegenheit umarmen würde, als wären sie wieder Teenager? Oder würde er sie an den Haaren packen und herumschleifen? Sie zu einem Haufen aus Nichts schlagen? Manchmal fürchtete sie sogar, dass sein Aufwachen ihr letzter sein würde.
Ohne nachzudenken rieb sie den blauen Fleck auf ihrem Bizeps, während sie versuchte, ihre Tränen im Zaum zu halten.
Er war nicht immer so. Der alte er, den sie vor so langer Zeit kennengelernt hatte, hätte niemals daran gedacht, ihr weh zu tun.
Sie war nicht immer so. Die alte sie, die sie vor so langer Zeit gewesen war, wäre niemals auf die Idee gekommen, das zu tolerieren.
Aber die Jahre waren vergangen. Sie wuchsen, die Realität brach über sie herein und irgendwann hörte sie auf zu glauben. Sie hat aufgehört zu hoffen.
Sie zog noch einmal an ihrer Zigarette und bewegte sich im Wasser. Es ist schon kalt geworden. Aber es störte sie nicht. Es hielt ihren Körper taub. Es brachte sie zum Nachdenken.
Denn das ist alles, was ihr geblieben ist. Gedanken. Erinnerungen. Aber selbst diese schienen mit der Zeit zu verblassen.
Früher hatte sie sich daran erinnert, wie sie sich kennengelernt hatten, jetzt schien alles nur noch verschwommen zu sein.
Sie wusste, dass er sie in einer Bar angesprochen hatte. Sie erinnerte sich an sein Lächeln, so hell, dass es ihre ganze Welt erleuchtet hatte. Sie erinnerte sich an den Smalltalk und die Nachricht, die er ihr am nächsten Tag hinterlassen hatte.
Er lächelte jetzt nie mehr. Niemals normal mit ihr gesprochen oder ihr die süßen Worte erzählt, die er an diesem Tag geschrieben hatte. Es mag daran gelegen haben, dass er kurz nach ihrer Heirat seinen Job verlor. Vielleicht lag es daran, dass sie kein Kind gebären konnte. Vielleicht weil er den Kontakt zu seinem Bruder verloren hat. Es waren vielleicht noch so viele Ausreden mehr.
Früher war sie deswegen traurig gewesen. Früher gab sie sich selbst die Schuld an seinem Unglück. Aber jetzt … jetzt fühlte sie sich einfach … leer? Ja, sie war innerlich leer. Sie fühlte nichts.
Wir danken unseren Unterstützern
Mit Unterstützung folgender Wiener Bezirke:
Für Sponsoringanfragen wenden Sie sich bitte an Margit Riepl unter margit.riepl@gmx.at
Wenn Sie "Texte. Preis für junge Literatur" unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf folgendes Konto:
Literarische Bühnen Wien, Erste Bank IBAN: AT402011182818710800, SWIFT: GIBAATWWXXX