Bär ist gleich Bärvon Yiannis Pagger
„Bär ist gleich Bär, verstehst du? Du kannst nicht zwei Bären nebeneinanderstellen, die das Gleiche machen, den gleichen Honig fressen, gleich ausschauen, und sagen, dass die nicht der gleichen Tierart angehören! Was denkst du dir dabei überhaupt? Wie weltfremd musst du sein, um das da nicht einen Bären zu nennen?“
Die alte Frau redet verärgert und mit fliegenden Falten im Gesicht auf mich ein. Der Lavendelkranz, den sie um ihren Kopf gebunden hat, strömt einen etwas penetranten mediterranen Geruch aus.
„Schau dir das an: Der ist braun, er hat eine Schnauze, zwei Augen, eine Zunge, genau die gleiche Kopfform wie der andere da. Das sind beides Bären.“
Während sie das sagt, hält sie sich die geballten Fäuste wie Bärenohren an die Stirn und macht einen bösen Blick, um einen Bären nachzustellen.
All das, während wir in einem bis zum Anschlag gefüllten Schweinetransporter sitzen. Ich habe es mir inzwischen auf dem Rücken eines der Schweine gemütlich gemacht, die alte Frau ist immer noch eingezwängt zwischen zwei Tieren.
Außerdem sitzt besagter Bär vorne im Wagen, und kratzt sich gerade am Hinterkopf. Die Schweine halten sicherheitshalber etwas Abstand, was bei den engen Verhältnissen nicht gerade leicht ist.
Ein Rumpler geht durch den Laster, ich hebe kurz mit meinem Schwein in die Luft ab, und fühle mich wie auf einem fliegenden Teppich.
Der Flug ist schnell wieder vorbei.
„Ich glaub, der Lavendel hat dich beeinflusst. Ich kann wirklich nur EINEN Bären sehen. Und das, und das, und das und alles da daneben ist ein Schwein. Das garantiere ich dir“, sage ich ihr extra ruhig. Das habe ich schon oft probiert. Seit wir in diesem Wagen sind, hat sie schon an die zehn Mal versucht, mich davon zu überzeugen, dass hier ZWEI Bären sind. Inzwischen habe ich es aufgegeben, lustlos drehe ich mich von ihr weg.
„Wirst du mich wohl anschauen? Hilf mir wenigstens auf ein Schwein. Ich erstick da, wo ich jetzt bin!“
Mit einem lauten Seufzer schiebe ich mich über die rosigen Rücken zu ihr hinüber.
„Ich hab überhaupt keine Lust, dass ich mich anfliegen lass von dir“, spucke ich ihr ins faltige Gesicht. „Lass mich ab jetzt in Ruhe, und ich helf dir raus.“
Sie weicht meinem Blick aus.
„Okay“, sagt sie. Dabei starrt sie beschämt oder weiß-ich-wie auf eine der Spalten in der Wand, die die Sicht auf die Welt draußen freigibt.
Flaches Land, Weizenfelder überall.
„Hol mich rauf!“
Ich strecke ihr meine Hand entgegen, sie hält sich daran fest, und zieht sich hinauf. Auf allen Vieren kraxelt sie auf das größte Schwein. Ein Eber. Oder eine große Sau. Sie setzt sich im Schneidersitz hin. Ich rutsche wieder zurück zu meinem, zum Glück habe ich es vorgewärmt.
Alles ruhig.
Ich schaue zum Bären hinüber. Ihm fallen die kugelrunden braunen Augen schon fast zu. Doch da fährt der Wagen wieder in ein Straßenloch, und mit einem angenehmen Gefühl im Bauch hebe ich ab, und schwebe zwei Schweine weiter direkt vor den Bären. Der schaut kurz auf, dreht sich dann aber grunzend zur Seite und rollt sich ein.
Stille, nur das Rauschen der Straße ist zu hören.
Etwas kracht!
Plötzlich öffnet sich eine Klappe in der Seitenwand, ein Schwall faustgroßer blauer Styroporquader gießt sich über die nahestehenden Tiere. Dann klettert ein Mann heraus, und fällt in den Styroporhaufen. Plums. Er ist weg. Doch dann sehe ich ihn bedacht aufstehen, er trägt einen edlen schwarzen Anzug. Als er sich zu mir umdreht, fällt mir auf, dass er etwas in der Hand hält. Eine Heißklebepistole.
„Uiui, es riecht schön nach Lavendel da drinnen. Hätt ich mir in einem Schweinetransporter anders vorgestellt“, er steht jetzt weit grinsend vor uns, die Heißklebepistole zum Abschuss bereit. Seine Augen wandern von einem Schwein zum anderen. Mich und die Frau beachtet er gar nicht.
Doch sie ruft ihm gleich aufgeregt zu: „Bitte, sagen Sie ihm doch, dass da zwei Bären sitzen!“ Sie deutet mit weit ausgestrecktem Zeigefinger auf mich.
Er ignoriert ihre Frage: „Ach, Sie sind die Ursache für den Geruch? Ich glaube es reicht, sie können den Lavendelkranz abnehmen. Wie dem auch sei, ich habe Ihnen diese Styroporbausteine mitgebracht, damit Sie sich was Hübsches damit bauen können. Am besten einen Tisch. Es gibt ja keinen sonst, in dem Wagen.“
„Und mit der Heißklebepistole sollen wir sie zusammenpicken, oder wie?“, spottet die alte Frau.
„Nein“, ich bin euer Kellner. Und mit dieser Heißklebepistole…“ – er spritzt lässig zwei, drei heiße Plastikfäden in die Schweinemenge – „…werde ich euch die Trinkgläser gießen. Wobei: Jetzt wegen den Fahrtunebenheiten könnten sie etwas schief werden. Ich hoffe, ihr verzeihz mir. Der Bär kann übrigens auch mittrinken, aber…“
„Der zweite auch?“, unterbricht die Frau den Kellner wieder.
Er schaut sie verständnislos an. „Sie sind schon seltsam. Welcher zweite Bär? Egal, wo war ich… A ja, er kann gerne mittrinken, aber die Schweine müssen bitte nüchtern bleiben, sie können nachher gerne die Styroporteile fressen. Schweine fressen übrigens alles, auch Steine. Ist das nicht witzig?
Ich lache, wahrscheinlich nur wegen der coolen Art des Kellners.
Die alte Frau versteht oben und unten nicht mehr: „Aber… der zweite Bär?“
Der Kellner beachtet sie nicht mehr. Er schlägt sich durch die Schweine auf die andere Seite des Wagens. Dort stellt er sich vor die Wand. Und zieht eine Lade heraus. Er zaubert ein Holzbrett hervor. Sogleich streicht er ein weißes Taschentuch über einen Schweinerücken, und setzt das Brett darauf.
Und dann beginnt er mit der Heißklebepistole draufzutröpfeln.
„Im Prinzip, meine Schweine, und Bär, und Menschen, funktioniert das wie ein 3D-Drucker: Man setzt eine Schicht über die andere, bis man das fertige Glas erhält. Ich lass euch die Pistole nachher eh da, dann könnz ihr das auch ausprobieren. Aber wichtig…“ – er unterstreicht das ganze mit dem Heben seiner Augenbrauen – „. . . ist die Leidenschaft. Ohne Leidenschaft, schafft keiner mit einer Heißklebepistole ein Glas.“
Gespannt hören alle im Wagen zu, sogar der Bär hat seine Augen geöffnet und seine Ohren erwartungsvoll aufgerichtet.
Doch plötzlich ein lautes Quietschen. Der Transporter legt eine Vollbremsung hin.
Bumm.
Ich hebe ab, und sause auf den Kellner zu, und alle Schweine mit mir mit. Er hebt abwehrend die Heißklebepistole. Wir fliegen. Gerade, als seine schwarzen Haare meine Nase streicheln, und der Lavendelkranz neben mir in der Luft hängt, drückt er ab.
Alles passiert so schnell, dass ich nur mitkriege, wie ich einen Köpfler in den Styroporhaufen mache, dann ist alles blau.
Als ich auftauche, ist der Transporter wieder in Fahrt. Im Eck des Raumes liegen alle Schweine, zusammengeklebt zu einer Traube. Der Kellner ist weg. Ich sehe mich um. Nichts. Kein Bär, keine Frau. Ich schüttle mir die blauen Bausteine von der Kleidung, und strecke mich. Endlich Platz.
„Kannst du mir bitte herunterhelfen?“, schreit energisch eine Stimme über mir. Ich reiße den Kopf nach oben. Da hängt sie, die alte Frau.
„Endlich sind die Bären weg“, flüstert sie mir lächelnd zu, als ich sie herunterhebe
„Ich wollte das Trinken sowieso nicht teilen, lass uns anstoßen“, sage ich.
Und so trinken wir im nunmehr freigeräumten Raum. Ohne Tisch und ohne Gläser, nur mit unseren Händen als Trinkschalen. Und natürlich geben wir auch den Schweinen etwas, zumindest denen, die am Haufen außen kleben.
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