Bahngleis
Mein Herz pochte schnell, als ich mitten in der Nacht bei der U-Bahn stand. Ich mochte es noch nie, nach Mitternacht die Bahn zu nehmen. Die dunklen Gestalten. Rufende Jugendliche. Die letzten Autos die sich in der Nacht ihren Weg nachhause bahnen und die ersten Tropfen des Regens.
Ich stand am Bahnsteig, in meinem Augenwinkel erblickte ich die Anzeigetafel der U-Bahn. 12 Minuten. Ich sah mich um. Auf dem mir gegenüberliegenden Bahnsteig sah ich ein paar Leute. Gedankenabwesend holte ich mein Handy aus der Hosentasche. Es war 2: 41. Ich scrollte ein wenig auf Instagram, bis ich es schlussendlich wieder in meine rechte Hosentasche steckte. Draußen hatte es begonnen stärker zu schütten. Doch ich war geschützt von der Überdachung der U-Bahn und war auch froh drüber. Einen Regenschirm hatte ich an diesem schwülen Herbstabend vergessen mitzunehmen. Von weiter Entfernung sah ich eine Straßenlaterne flackern und dutzende Insekten die zum Licht flogen. Auf meinem Bahnsteig war keine einzige Person. Dann kam die U-Bahn auf der anderen Seite. Vier Passagiere stiegen ein, doch keiner stieg aus. Mit einem lauten Piepen schlossen sich die Türen und die Bahn fuhr davon. Nun war ich allein. Ich wollte wieder auf mein Handy schauen, doch ließ es diesmal sein. Und das war gut so. Sonst hätte ich es nicht gesehen. Ihn. Den offensichtlich betrunkenen Mann, der auf die Bahngleise zu torkelte. Mit jedem Schritt näherte er sich der Kante. Bevor ich reagieren konnte, tat er seinen letzten Schritt und fiel auf die Gleise. Der Aufschlag hallte im gesamten Gebäude. Die Anzeige war nun bei 2 Minuten. Ich begann zu schreien. „Geh bitte weg von dort“, rief ich so laut ich konnte. Mein Herz pochte immer schneller. Ich nahm meinen Mut zusammen. Ich würde hinrennen müssen, ihn von den Gleisen wegschieben und somit auch mein eigenes Leben riskieren. Nur noch 1 Minute. Ich rannte los. Sprang auf die Gleise und packte den Mann bei seinen Armen. Er musste bewusstlos gewesen sein denn er bewegte sich nicht. Ich sah schon die Lichter. Die Lichter der U-Bahn, welche immer näherkam. Ich schaffte es nicht mehr. Mir kamen die Tränen. Sie tropften auf die Jacke des Fremden. Ein lautes Rattern. Ein Rufen. Ein Schlag. Und plötzlich Stille. Dunkelheit.
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