beim Haare schneiden machst du mich heilig
Die Klinge ist in deiner Hand und nicht in meiner, ich übergebe dir das Vertrauen. Ich schließe meine Augen, deine Finger tanzen noch ein letztes Mal durch meine Haare und dann höre ich das Surren der Maschine.
Der Motor ist zu schwach und deine Finger wärmer als meine. Vorhin noch hast du dich beschwert, dir sei so warm, aber eines meiner Leiberl anstatt deines Hoodies lehntest du ab. Nun hast du deine Kleidung abgelegt und beschwerst dich nicht mal über meine Haare.
Ich kann nichts dafür, dass ich nach Berührung hungre. Nach deiner und die der Maschine. Du gibst sie mir nur selten, seltener als ich dir Geschenke mache, aber ich kann dir nicht böse sein. Kindheit oder so.
Deine Finger berühren meinen Schädel, dort wo bei Babys nur weicher Knorpel ist und flüsterst, ich soll meinen Kopf „bisschen nach vorne“ bewegen. Ich tue es.
Meine Augen sind schon vor einer Ewigkeit zugefallen. Alles fühlt sich schwer an, als wäre es gewichtet mit Metall oder Reis.
Fast schlafe ich, aber das Blut unter meiner Haut kribbelt zu sehr. Nicht elektrisch oder unruhig, nicht so wie sonst, anstatt dessen etwas, was angenehm werden könnte, sein sollte.
Wieder richtest du meinen Kopf so wie du ihn gerade brauchst und zwischen meinen Beinen entfacht ein blasser Funken. Angenehm. Alles ist so angenehm. Du behandelst mich wie etwas wertvolles.
Es ist nicht das erste Mal, dass meine Haare weg müssen. Es wird nicht das letzte Mal sein. Es ist das erste Mal, bei dem du mir hilfst.
Normalerweise geht es schnell, muss nicht allzu genau sein und ich bin jemand neues.
Ich werde behandelt wie ein Gebet. Wie etwas heiliges, etwas gottgeschaffenes. Ich will dich in der Kirche sehen.
Du atmest. Ich spüre dich atmen, denn du beugst dich etwas hinab und küsst mich dort, wo mein Kopf auf meiner Wirbelsäule sitzt. Deine Lippen sind trocken und warm. Ich glaube mir ist kalt.
Ich kann immer noch nicht fassen, dass du mich heilig findest. So langsam muss ich es glauben. So viel Scheiße wie ich schon angestellt hab und du rasierst mir die Haare.
Das Kribbeln hat gestoppt. Es wird zu Honig in meinem Blut.
Ich spüre jede Bewegung, die du machst und kann keine davon sehen. Mein Rücken ist zu dir, meine Augen geschlossen. Ich würde nicht sehen wollen, wenn ich die Energie dazu hätte mich zu bewegen. Wahrscheinlich ist das, was ich fühle vollkommendes Vertrauen, aber es könnte genauso gut Sex sein. Woher soll ich den Unterschied wissen.
Es fühlt sich gut an, du fühlst dich gut an, ich fühle mich meistens wohl, wenn ich es schaffe, dich gut fühlen zu lassen.
Du hast mir die Haare geschnitten. Ich beschwer mich nicht über das Jucken auf meinen Armen und auf meinem Nacken, unter meiner Haut. Du ziehst mich aus.
Der Gedanke dich zu fragen ob du mit in die Dusche möchtest, schwebt mir vor, aber ich lass es lieber.
Wir schweigen uns an, ich versuch dir eine Frage zu stellen, du fährst deine Finger durch meine frisch rasierten handtuchtrockenen Haare. Ich liebs genauso wie du.
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