Über Mut
Liebe Karo,
du fragst dich vielleicht, wieso du einen Briefumschlag unter deiner Tür gefunden hast. Ich will es dir erklären: Wie wir beide wissen, kann ich bei weitem nicht so gut sprechen, wie schreiben. Mir fehlt einfach die nötige Übung, denn das Sprechen hast du immer übernommen. Ob beim Bestellen im Restaurant oder beim Kennenlernen von Leuten. Immer wenn ich mich nicht getraut hab zu reden, hast du mir eine Stimme gegeben. Und was hab ich gemacht? Anstatt die große Schwester zu sein, die ich mir selbst gewünscht hätte, habe ich es nicht geschafft, meiner Bewunderung für dich, Ausdruck zu geben. Leider viel zu häufig, werden mir Fehler erst im Nachhinein bewusst.
Aber jetzt wo wir hier sind müssen wir alle mit der neuen Situation klar kommen und das ist schwierig. Ganz besonders für dich. Der Alltag wirkt auf einmal so verändert, durch dieses neue Ding was in unser leben getreten ist und wir als Essstörung bezeichnen. ich stelle mir dieses etwas als kleinen Dämon mit grässlichen Zähnen und Hörnern vor. Er hat in einer dunklen Zeit den Weg zu uns und mit fiesen Gedanken ein Zuhause in deinem Kopf gefunden und versucht jetzt, seine Ideen als deine Bedürfnisse auszugeben. Und so ist es fast absurd, wie schnell er sich einschleichen konnte. Denn genauso schnell wie angekommen, wächst der einst kleine Dämon mit jedem liegen gelassenen Bissen und wird mit jeder ausgelassenen Mahlzeit lauter. Was auch lauter wird, ist Mamas Stimme. Aber wenn sie verzweifelt ist oder schreit, schreit sie nicht nach dir, sie versucht den Dämon zu erreichen und es ist Papas Verzweiflung, die aus ihm spricht, wenn er sieht wie stark der Dämon und schwach du bereits geworden bist. Warum tust du dir das an? Hat dir der Dämon etwas versprochen oder redet er dir ein, du hättest das verdient? Nicht in dieser Welt. Nicht in einer Welt, in der Dämone keinen Platz haben. Diese Kreaturen gehören nicht auf die Erde und schon gar nicht in deinen Kopf.
Aber all die Konflikte rund ums Essen, finden statt, weil wir sehen, dass hinter dem Dämon noch das aufgeweckte Mädchen steckt, das von dieser familie geliebt und gebraucht wird.
Ich weiß, dass du die Energie, die dir noch nicht gestohlen wurde in den nächsten entscheidenden Tagen nutzen kannst. Vielleicht schaffst du es sogar, den dämon statt dir hungern zu lassen und ihn nicht mehr weiter mit Gedanken zu füttern. Ich glaube an dich. Ich weiß wer du bist und ich weiß dass du sobald die dunklen Wolken vertrieben sind, die Sonne als Wegweiser siehst. Es gibt keine zeit mehr, zu verlieren, aber ich habe Hoffnung. Hör auf dich selbst, für dich selbst und nimm dich nicht weiter zurück. Senn auch ein kleiner Dämon, wird einmal zu einem großen Teufel, wenn man ihm weiter eine Wohnung und Gedanken- Futter gibt. Ab jetzt heißt es, all deinen Mut zusammennehmen und den MIETVERTRAG DES DÄMONS KÜNDIGEN UND PLATZ MACHEN IM KOPF FÜR ALL DIE SCHÖNEN FARBEN!
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