Über Zufälle
Er stieg aus dem Zug und ging über den Bahnsteig, die Passanten strömten ihm entgegen. Als er die Bahnhofshalle durchquert hatte und auf den Vorplatz trat, fiel ihm auf, dass der Baum nicht mehr da war. Der, auf den sie als Kinder immer geklettert waren. Er ging weiter durch die Straßen, bis er den Rand des Flusses erreichte. Und er ging an der Skyline dieser Stadt entlang, das erste Mal seit so langer Zeit. Er dachte an sie, und ob er sie finden würde, denn er hatte keinen Plan, war nur einem inneren Impuls gefolgt. Plötzlich sprudelten die Erinnerungen in seinen Kopf, wie der Schaum aus einer geöffneten Sektflasche. Aber er wollte diese Bilder nicht sehen, wollte nicht an diese Zeit zurückdenken, die die schwierigste und doch die schönste seines Lebens gewesen war. Also begann er zu rennen, um vor der Gedankenflut zu fliehen. Immer weiter rannte er am Flussufer entlang. Die Jogger und Radfahrer, die ihm entgegenkamen, nahm er nur als ein einziges, verschwommenes Bild wahr.
Sie verließ ihre Wohnung und strich gedankenverloren mit dem Finger am Treppengeländer entlang. Sie ging ohne einen bestimmten Grund nach draußen. Sie wollte einfach nur nachdenken, und irgendetwas zog sie zum Fluss. Ihr fiel auf, dass heute der sechzehnte April war. An irgendetwas erinnerte sie dieses Datum. Vermutlich hatte sie es verdrängt, wie so viele Dinge. Sie ging über die Brücke und sah hinauf in den wolkenverhangenen Himmel. Alles wirkte an diesem Tag irgendwie grau. Sie schob sich durch die nächste Touristengruppe.
Und dann stand sie vor ihm.
Er blieb stehen.
Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, für einen Moment erschien die Welt für sie wieder in Farbe. Sie sah zu Boden. Der Moment war vorüber.
Und beide fragten sich: “Können wir noch an Zufälle glauben? ”
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