Überlebensnotwendig
Wir vier.
Höhen und Tiefen. Oft mehr Tiefen als Höhen, aber wir liebten uns.
Wir brauchten uns.
Überlebensnotwendig waren wir.
Manchmal frage ich mich, ob wir uns wirklich liebten, uns wirklich brauchten, oder ob wir all diese Jahre eine Illusion gelebt hatten. Doch ich glaube, damals war dies wirklich der Fall. Wir brauchten uns.
Wir veränderten uns, wurden älter.
Ich begann mich in dich zu verlieben, ihr zu misstrauen und nur mit der vierten aus unserem Kreise war alles gleichgeblieben.
Wir sahen uns alle gegenseitig am Boden, hat uns das vielleicht so stark verbunden?
Ich glaube aber auch, dass wir uns gegenseitig zu Boden brachten. Worüber wir uns aber alle einig waren, war die Sicherheit der unbedingten Hilfe, uns gegenseitig auch wieder auf die Beine zu bringen. Zu viert jedenfalls, waren wir stark. Als du schweigend vor mir standest wurde mir eines bewusst, wir würden niemehr dieselben sein. Allerdings glaube ich nicht, dass du es damals schon gemerkt hattest.
Ich sah dich zu oft, als dass ich meine Gedanken je von dir abwenden könnte und mir schien, du hattest immer das Gefühl, weniger zu uns zu gehören als der Rest von uns. Immer wieder tatest du Sachen, um uns und dir etwas zu beweisen. Doch wieso? War es nicht genau das, was uns so lebensnotwendig machte? Ein sicherer Ort, ohne Neid, Gruppenzwang und Schmerz? Wieso es letzten Endes doch zu all dem gekommen war, hatte ich nie verstanden.
Die Jahre vergingen und ich begann uns vier zu vermissen: Die Höhen, die Tiefen, die Liebe wie den Schmerz, die Abenteuer, sowie die Tage, an denen wir uns langweilten. Ich hatte mir alles ganz anders vorgestellt, wie wir alle.
Vielleicht war das unser Schicksal. Das Ende unserer Freundschaft. Das Ende von uns Vieren.
Nein, dachte ich mir, das konnte nicht sein. Zuviel hatten wir schon gemeinsam erlebt, wir konnten nicht vergessen. Lebst du noch immer in dem kleinen grünen Haus, am Rande der Straße, wo wir einst zu viert in die Schule gegangen waren? Ich beschloss etwas Mutiges zu tun. Ich ging langsam meinen alten Schulweg entlang, bis ich bei deiner Haustür angekommen war. Ich musste mich kurz sammeln und dann läutete ich.
Es dauerte einen Moment, da hörte ich eine Stimme.
„Sechster Stock bitte“
Die Tür ging auf und ich schritt leicht irritiert hindurch.
Ich stieg in den Lift und betätigte den Knopf für „Dachgeschoss“.
Ich sah in den Spiegel und strich mir eine weiße Strähne aus dem Gesicht. Sechzig Jahre waren vergangen, seitdem ich dich und die anderen beiden in diesem Haus das letzte Mal gesehen habe.
Du öffnetest die Tür und bliebst wie angewurzelt stehen.
„Hallo“, sagte ich.
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