Übermut tut selten gut!
„Grüß Gott, Herr Berger. Wie geht es ihnen?“, fragt Andrea, die Krankenschwester, als sie das Zimmer betritt, in welchem ich stationiert bin. „Den Umständen entsprechend.“, gebe ich zur Antwort. „Sagen sie, wie konnte es eigentlich zu einem derart dramatischen Unfall kommen? Ich meine, falls Sie sich noch erinnern können, immerhin sind Sie mehrere Meter tief gefallen.“ „Nein, nein, ich erinnere mich noch, als wäre ich gerade erst abgestürzt. Aber erlauben sie mir, ihnen die ganze Geschichte zu erzählen:
Ich war neun Jahre alt, als ich feststellte, dass ich eine Begabung im Sport besitze. Ich rannte schneller als meine Freunde, sprang höher als sie alle. Mir wurde bewusst, dass ich mein Talent gefunden hatte und habe eingesehen, dass ich mir dieses zum Beruf machen musste, wohlbemerkt war ich im Übrigen ein ziemlich schlechter Schüler. Da meine Eltern getrennt waren, seit ich fünf war, weil mein Vater Alkohol- und Drogenabhängig war, wuchs ich bei meiner Mutter auf. Ich wurde ständig wegen meines Vaters gemobbt. Ältere Jungen behaupteten, ich würde auch werden wie er, weil es mir so vererbt wurde. Deshalb habe ich seither den ständigen Drang mich zu beweisen und ihnen und dem Rest der Welt das Gegenteil klarzumachen. Dieses Kämpfen, das unermüdliche Alles-Geben, es hat mir ein gewisses Selbstvertrauen gegeben. Der Siegeswille war mein Gefühl der Freiheit. Als ich 18 war beschloss ich Bergführer zu werden, da ich immer schon eine Vorliebe fürs wandern aber vor allem Klettern hatte. Als ich diesen Beruf einige Jahre ausgeübt hatte, wurde es mir langweilig und ich beschloss, alleine zu klettern. Da ich immer noch dieses Verlangen hatte, zu zeigen, was in mir steckt, begann ich, hohe, anspruchsvolle Felswände zu beklettern. Als ich von einer mehrtägigen Klettertour in den Alpen zurückkam, war meine Mutter furchtbar aufgeregt. Sie meinte, das sei viel zu gefährlich für mich und das es mir noch das Leben kosten würde. Die Vorstellung, dass meine eigene Mutter nicht an mich glaubt, war für mich unerträglich und so beschloss ich, die härteste aller Touren zu wagen. Also bestiege ich vor einigen Tagen den Mount Everest. Hätte ich vorhersehen können, was passieren würde, hätte ich es gelassen, aber mein Übermut, der Drang, mich der Welt zu beweisen, war zu stark. Als ich mich bereits in beträchtlichere Höhe befand, kam von der Seite her ein starker Windstoß. Er ließ meinen Kopf am Fels aufschlagen, als ich gerade den Karabiner geöffnet hatte. Schlagartig wurde mir schwindelig. Ich weiß nur noch, wie ich fiel, das Leben ist an mir vorbeigerauscht wie Nebel, alles schien so unbedeutend, dann wurde mir schwarz vor Augen und dann…“
„Dann sind sie hier im Krankenhaus aufgewacht, verstehe. Sie hatten wirklich Glück, dass es den Felsvorsprung gab, der Sie aufgefangen hat“, vervollständigt Andrea meine Geschichte. „Ich bedaure ihre Lebenssituation sehr, Herr Berger. Auf Wiedersehen!“ „Auf Wiedersehen“
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